Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Codex Mosel

Titel: Codex Mosel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mischa Martini
Vom Netzwerk:
Schienbein versetzte.
    »Eine tolle Klinik haben Sie hier«, sagte Kay, zu Hoffmann gewandt, der mit über der Brust verschränkten Armen dastand und keinerlei Regung zeigte. »Herr Dr. Hoffmann, darf ich Sie beim Vornamen nennen?«
    Hoffmann reagierte nicht.
    »Ich wette, Kay hat den halben Reisekoffer voll Klopapier. Die Amis glauben, wir Europäer leben noch im Mittelalter«, flüsterte Gabi Walde zu.
    »Kommen Sie bitte näher«, sagte Kay und zeigte auf den Rechner, wo sich ein Bild aufbaute. Walde sah einen Kopf, im Profil aufgenommen.
    »Ich habe eine virtuelle Autopsie vorgenommen«, sagte Kay. »Dazu habe ich erst einmal alle Wunden des Opfers mit einem 3-D-Scanner abgetastet und gespeichert, dann haben wir den Leichnam in den Kernspintomograph geschoben.« Sie zeigte weitere Aufnahmen.
    »Bei diesem Fall werden die Grenzen der klassischen Autopsie besonders deutlich.« Sie legte eine kleine Pause ein. »Es ist klar zu erkennen, dass der Schlag oberhalb des Ohrs augenblicklich zu einer Ohnmacht geführt hat. Bis bei der geringen Fallhöhe eine solche Wucht hätte erreicht werden können, wäre der Gärtner am Boden angelangt gewesen. Dem stehen auch weitere Knochenbrüche und Prellungen entgegen, die darauf hindeuten, dass der Mann keinerlei Muskeltonus aufwies und sich widerstandslos mit den Extremitäten in den Sprossen verhakte, wofür auch die Art der Brüche spricht. Können Sie mir folgen?«
    Bis auf den Pathologen, der weiterhin mit verschränkten Armen dastand, nickten alle.
    »Form und Material der Tatwaffe hingegen stimmen weitgehend mit dem der Leitersprossen überein. Es handelt sich um einen runden, leicht flexiblen Gegenstand.« Sie lächelte. »Bei uns in Amerika würde man auf einen Baseballschläger tippen, aber hier liegt es näher, auf den Stiel eines Werkzeugs zu schließen. Davon sind in dem Schuppen reichlich vorhanden.«
     
    Während Gabi per Telefon die Technik beauftragte, das Werkzeug im Geräteschuppen der Kurie nochmals zu untersuchen, kam Hanne Wilhelmsen auf Walde zu.
    »Bist du gut nach Hause gekommen?« Sie lächelte ihn unbefangen an.
    So blau wie ihre Augen stellte sich Walde einen kalten norwegischen See vor.
    »J …«, Walde musste sich räuspern, »ja, klar.«
    »Du hattest einiges getrunken.«
    »Stimmt.« Er beobachtete, wie sie sich das Haar nach hinten strich und die obersten Knöpfe des grünen Kittels öffnete. Die Haut am Hals war so weiß, als hätte sie noch nie einen Sonnenstrahl gespürt.
    Walde seufzte erleichtert. Er konnte sich nicht an ihre Haut erinnern. Oder? Seine Unsicherheit kehrte zurück. Hatte er auch das vergessen?
    »Was ist?«, fragte sie.
    »Du hast gar keinen …?« Er versuchte es mit Pantomime und rieb sich mit den Fingerspitzen die Schläfen.
    Sie lachte. »Skandinavier sind hart im Nehmen, außerdem hat Kay heute Morgen zum Frühstück einen Spezialtrunk gemixt.«
    Sie verhielt sich zu unbefangen dafür, dass sie heute Nacht etwas miteinander gehabt haben könnten.
    »Sie kann was!« Hanne schaute zu Kay hinüber, die ihren Laptop in einer Tasche verstaute.
    »Wir treffen uns heute Abend beim Italiener.« Hanne wandte sich wieder an Walde. »Kommst du mit?« Als könne sie seine Gedanken lesen, fügte sie hinzu: »Bring deine Frau mit.«
    Walde bemerkte, dass Hoffmann gestikulierend auf Gabi einredete. Kay verschwand im Büro des Pathologen.
    »Überleg es dir«, sagte Hanne und folgte der Amerikanerin.
    »Wie heißt das Lokal?«
    »Den Namen hab ich vergessen. Es ist nicht weit vom Karl-Marx-Haus.«
    Als die beiden hinausgegangen waren, hörte Walde Gabi sagen: »Ich weiß auch nicht, was in den Präsidenten gefahren ist.«
    »Die zieht hier mit einer Leiche durchs Haus und brüskiert die Kollegen, abgesehen davon, dass erhebliche Kosten entstanden sind. Darüber soll der Stiermann sich auch mal Gedanken machen. Und dann will sie mich auch noch mit dem Vornamen anreden. In den Staaten redet jeder jeden mit Vornamen an, weil die Nähe nicht bis zum Nachnamen reicht.«
    »Walter, das musst du mir ein andermal erklären, wir müssen weiter.« Gabi drückte ihm die Hand. Walde reichte ihm ebenfalls die Hand und war überrascht, zum ersten Mal vom sonst so unterkühlten Pathologen einen warmen Händedruck zu spüren.
     
    Sie fuhren nach oben. In den Schalensitzen vor der Ambulanz warteten immer noch viele Leute. Walde nahm sein Mobiltelefon heraus. Endlich erreichte er Doris und schilderte ihr die Situation mit Veit. Er blieb am Wendekreis

Weitere Kostenlose Bücher