Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók
auf!«
Mir wollte das aber nicht aus dem Kopf gehen, und in der Straßenbahn auf dem Heimweg zur Pension redeten wir wenig.
Frau Bauer war sichtlich erregt, als sie uns in Empfang nahm.
»Habt ihr die Zeitungen gesehen?«, stöhnte sie, als wir ins Haus kamen. Sie schien unter Schock zu stehen.
»Die Zeitungen?«, fragte der Professor. »Nein, wir haben keine Zeitungen gesehen. Was steht drin?«
»Herr Professor«, sagte sie, die ihn normalerweise nie so formell anredete, »ich kann nicht glauben, was da steht.«
Sie blickte sich ängstlich um, als befürchtete sie, dass dieanderen Pensionsgäste uns hören könnten, und ging dann mit uns in die Küche.
»Was ist los?«, fragte der Professor und versuchte, sie zu beruhigen.
»Ich kann es einfach nicht glauben, das muss ein Missverständnis sein«, wisperte Frau Bauer.
»Nun sag doch schon, was los ist!«
»Hinrich Färber«, sagte Frau Bauer. »Man hat ihn gestern Abend mehr tot als lebendig in seinem Haus gefunden. Es steht in allen Zeitungen, habt ihr das nicht gelesen?«
»Nein, wir haben keine Zeitungen gelesen. Was … Wer? Wer hat diesen Färber überfallen?«
»Gott steh euch bei«, sagte Frau Bauer. »Ich weiß nicht, was ich mit euch machen soll. Das ist entsetzlich, ganz einfach entsetzlich!«
»Mit uns?«, fragte ich völlig verwirrt. »Was meinen Sie damit?«
»Ihr wisst nicht, wie ernst die Lage ist«, sagte Frau Bauer, nahm eine Zeitung zur Hand und reichte sie dem Professor.
Er nahm sie entgegen und überflog die erste Seite, wo der Überfall auf Färber kurz gemeldet wurde, und dann schlug er sie innen auf, wo ausführlicher über den Vorfall berichtet wurde. Ich sah, dass er beim Weiterlesen blutrot anlief.
»Das ist doch nicht möglich«, sagte er erregt.
»Siehst du jetzt, was ich meine?«, stöhnte Frau Bauer.
»Herr des Himmels«, sagte der Professor, »das können sie doch nicht im Ernst glauben!«
»Der Diener ist Zeuge«, sagte Frau Bauer. »Er hat ihn gefunden.«
»Was ist los?«, fragte ich ziemlich erschrocken über diese Reaktion.
»Was soll ich bloß tun?«, fragte Frau Bauer. »Was soll ichmit euch anfangen? Muss ich nicht mit der Polizei sprechen? Wäre es nicht am besten, wenn ihr mit der Polizei sprechen würdet?«
»Wir wollen nichts Unüberlegtes tun«, sagte der Professor. »Was ist los?«, fragte ich noch einmal.
Der Professor reichte mir die Zeitung.
»Sie glauben, dass wir die Täter sind«, sagte er.
»Was?!«
»Sie glauben, dass wir Hinrich Färber überfallen haben. Dass wir ihn halb totgeschlagen haben!«
Ich starrte ihn an, und das Einzige, was mir einfiel, war der Fluch, der mit dem Codex Regius verbunden war. Unser Abenteuer konnte nur mit Schrecken enden.
Neunzehn
Ich sehe noch ganz genau die Miene des Professors vor mir, als sich herausstellte, dass man uns mit dem Überfall auf Hinrich Färber in Verbindung brachte. Er sah mich an wie ein Mann, der im Begriff war, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Er sank auf einen Stuhl nieder und starrte fassungslos vor sich hin. Ich nahm die Zeitung zur Hand und versuchte zu verstehen, was dort stand. Es war genau, wie er gesagt hatte, wir waren die beiden Männer, von denen es hieß, dass sie Färber am vergangenen Abend kurz vor dem Überfall besucht hatten. Wir seien wahrscheinlich wieder zurückgekehrt und so brutal über ihn hergefallen, dass er bewusstlos ins Krankenhaus eingeliefert werden musste und in Lebensgefahr schwebte.
Wenn ich an diese Zeit und an die stumme Verzweiflung des Professors in Frau Bauers Küche zurückdenke, sehe ich, über was für eine enorme innere Kraft er trotz allem verfügt hatte. Seine Welt stand vor dem Zusammenbruch. Er hatte sich nicht nur die kostbarste aller isländischen Handschriften rauben lassen, sondern außerdem auch die verschollenen Seiten aus dem Codex Regius , und sein Lehrstuhl an der Universität in Kopenhagen stand auf mehr als wackligen Beinen. Und jetzt drohte in Deutschland möglicherweise noch die Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung. Er musste doch damals gedacht haben, dass alles verloren war. Ich tat das auf jeden Fall, und ich schämte mich nicht dafür. Ich war der Meinung, dass wirzur Polizei gehen müssten, um die Karten auf den Tisch zu legen. Was dabei herauskommen würde, war unmöglich vorauszusehen. Es war so gut wie sicher, dass wir verhaftet und in Untersuchungshaft gesteckt werden würden, solange man über unsere Schuld oder Unschuld befand. Er hatte doch sicher
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