Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók
sind reichlich naiv, Valdemar. Es ist naiv zu glauben, dass man in solchen Leuten irgendwelche Ehrgefühle wecken kann. Denen geht es nur um eines, und das ist Geld.«
»Aber er ist in großer Gefahr, wenn er das Buch bei sich hat.«
»Das ist seine Sache«, erklärte der Professor. »Unsere Aufgabe ist es, die Handschrift zu finden. Sigmundur kann mich von mir aus am Arsch lecken.«
»Was ist, wenn er die Wahrheit sagt? Wenn er den Codex Regius gar nicht hat?«
»Sigmundur hat ihn«, sagte der Professor. »Er will uns nur provozieren. Er hat ihn aber wohl kaum in seiner Kabine, dazu ist er mit seinem Cognac in der Hand viel zu selbstsicher aufgetreten. Er muss ihn irgendwo an Bord versteckt haben. Vielleicht bewahrt jemand anderes das Buch für ihn auf. Der Codex Regius ist hier irgendwo, und wir müssen ihn finden.«
»Eines ist aber positiv an der ganzen Sache«, bemerkte ich. »Und das wäre?«
»Bislang sind wir von Orlepp und seinen Kumpanen noch nicht begegnet. Sie scheinen die Gullfoss verpasst zu haben. Das ist doch positiv.«
»Sei dir da nicht so sicher«, sagte der Professor. »Es fällt mir schwer zu glauben, dass die irgendetwas verpassen.«
»Und was nun? Was machen wir jetzt?«
»Wir behalten Sigmundur im Auge«, sagte der Professor. »Vielleicht können wir ihn morgen zur Vernunft bringen. Aber zuerst müssen wir uns etwas zu essen besorgen und uns ein Plätzchen auf dem Schiff suchen, wo wir unsere Lage überdenken können. Ich weiß einen Raum, in dem wir uns ausruhen können, aber ob es dir da gefallen wird, weiß ich nicht.«
»Wo denn?«
»Hast du etwas gegen Hitze?«
»Nicht dass ich wüsste«, sagte ich.
Im Laufe des Abends war es wesentlich kühler geworden, und ich war froh, dass wir die Nacht nicht unter freiem Himmel verbringen mussten. Das Versteck, auf das der Professor angespielt hatte, war eine Art Stauraum für Gepäckstücke. Er sagte mir, dass er auch manchmal als Arrestzelle verwendet würde. Da käme nie jemand hin. Dicht an der Vorderwand des Raumes mussten die Abgasrohre der Maschineliegen, die Hitze war deswegen nahezu unerträglich. Hier wurden manchmal Krawallmacher einquartiert, denen nicht anders beizukommen war, meist wegen Trunkenheit. Man sperrte sie so lange dort ein, bis sie ihren Rausch ausgeschlafen hatten. Ich überlegte, ob ich den Professor fragen sollte, wieso er von der Existenz dieses Raums wusste, aber ich ließ es bleiben. Wir schlichen dorthin, ohne von irgendwem bemerkt zu werden. Die Tür zu dem Raum war mit einem simplen Hängeschloss versehen. Der Professor fand ganz in der Nähe einen Eisenklotz, und es gelang ihm, damit das Schloss aufzuschlagen. Die Hitze drinnen war entsetzlich, fast vierzig Grad. Wir achteten darauf, die Tür einen Spalt offen zu lassen, damit wir Luft bekamen.
Der Professor ließ sich schweigend auf einem Reisekoffer nieder. Ich dachte an all die Tiefschläge, die er hatte einstecken müssen, und daran, wie nahe er jetzt seinem Ziel war. Er war überzeugt, dass Sigmundur gelogen hatte, was ja durch dessen Brief an Glockner bestätigt wurde. Natürlich saß er jetzt da und überlegte, mit welchen Methoden er Sigmundur auf seine Seite ziehen könnte. Nach der Erfahrung mit dem ersten Zusammentreffen würde es schwierig werden.
»Und was wirst du tun, wenn du den Codex Regius wieder in der Hand hast?«, fragte ich.
Der Professor sah mich an. »Du meinst, wenn ich ihn finde?«
»Wirst du dich stellen? Gleich hier an Bord?«
»Ja, das habe ich vor. Auf diese Weise käme die Handschrift auch an die zuständigen Instanzen und würde an ihren Platz in Kopenhagen zurückgebracht.«
»Und niemand würde dir Vorwürfe machen, dass du diesen Schatz einfach mit dir herumträgst, du bist schließlich der bedeutendste Sachverständige in Bezug auf diese Handschrift.«
»Nein, es würde nur als Nachlässigkeit meinerseits ausgelegt werden, dass ich den Codex Regius auf eine Reise mitgenommen habe. Es werden aber sowieso nur noch ein paar Jahre vergehen, bis diese Handschrift – und auch alle anderen – ganz offiziell an Island zurückgegeben werden.« »Du glaubst wirklich, dass das geschehen wird?«
»Ja, es wird geschehen, und du wirst es erleben, Valdemar. Was mich betrifft, bin ich mir da nicht so sicher. Ich glaube aber, es wird nicht mehr lange dauern.«
»Aber die Mörder? Du bist sie doch nicht los!«
»Bis jetzt habe ich noch keinen von diesen Wagneriten an Bord gesehen, falls es tatsächlich sie waren, die
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