Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók
mich war, und schrie aus Leibeskräften um Hilfe.
»Ich bin … verletzt«, hörte ich ihn stöhnen. »Ich habe keine Kraft in …«
Seine Hand begann, meiner zu entgleiten. Die andere hing an seiner Seite herunter und hielt die Pergamentseiten umklammert.
»Es ist vorbei«, sagte er.
»Nein!«, brüllte ich. »Greif mit der anderen Hand nach der Reling!! Lass die Seiten los!«
»Ich kann … nicht …«
Der Wind trug seine Worte davon.
»Versuch es!«, schrie ich.
»Hüte das Buch«, hörte ich ihn stöhnen. »Hüte … das Buch Islands, Valdemar!«
»Nicht!«
»Sprich … mit …«
»Nicht loslassen!«
»Geh zu …«
Ich spürte, dass ich ihn aus dem Griff verlor.
»… Halldór!«, rief der Professor am Ende seiner Kräfte.
Seine Hand entglitt meiner, und ich sah, wie die Wellen ihn nahmen und davontrugen. Ich schrie laut auf vor Angst und Entsetzen, ich schlug mit Fäusten auf die Reling ein und trat dagegen, aber ich konnte nichts mehr tun. Er war verschwunden.
Finsternis und Meer hatten ihn verschlungen.
Ich weiß nicht, wie viel Zeit verstrich, bis ich ein weiteres Mal den Gang in der ersten Klasse betrat und leise an die Tür der Kabine von Halldór Laxness klopfte. Der Professor hatte mir aufgetragen, zu Halldór zu gehen, aber ich wusste nicht, weshalb. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er einen anderen Halldór gemeint hatte. Nach einer Weile öffnete sich die Tür. Der Dichter sah mich mit ernster Miene an.
»Du musst Valdemar sein«, sagte er.
Ich nickte.
»Es ist also nicht gut ausgegangen?«, fragte Halldór.
»Der Professor ist tot«, sagte ich. »Er ist über Bord gegangen.«
Halldór sah mich lange an. Ich sah, dass ihm die Nachrichtnaheging, obwohl er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen.
»Er hat eigentlich fast damit gerechnet«, sagte Laxness. »Mein Beileid, Valdemar. Er hat hier Zuflucht bei mir gesucht, verstehst du. Ich hatte gehofft, dass wir beide uns nicht unter diesen Umständen treffen müssten.«
»Nein, ich verstehe«, sagte ich. »Der Codex Regius ist auch verloren. Er … er hat ihn ins Meer geworfen.«
»Komm herein«, sagte Halldór. Ich betrat die Kabine, und er schloss die Tür hinter uns.
»Der Professor wollte mich nicht tiefer in die Sache hineinziehen«, sagte er.
»Nein«, sagte ich immer noch wie gelähmt nach den Ereignissen auf dem Bootsdeck.
»Er hat mir untersagt, irgendetwas zu unternehmen, und ich konnte ihn nicht davon abbringen. Er sagte mir, dass etwas schiefgelaufen wäre, wenn du hier vor meiner Tür erscheinen würdest. Der Professor war ein sehr eigensinniger Mann.«
»Er hat mir gesagt, ich solle zu Ihnen gehen.«
»Ich habe ihm nahegelegt, zum Kapitän zu gehen.«
»Er war auf dem Weg zu ihm, als sie ihn geschnappt haben«, sagte ich. »Und dann fand er heraus, dass sie die verschollenen Seiten hier an Bord hatten, und er befürchtete, dass sie die vernichten würden, wenn wir den Kapitän einschalten würden. Er hat versucht, sie ihnen selbst abzunehmen.«
Halldór ging zum Schreibtisch in der Kabine und kam mit einem kleinen Päckchen zurück, das in braunes Papier eingeschlagen und mit einem weißen Band verschnürt war. »Er sagte mir, ich solle es dir übergeben. Das hier ist das Original. Pass gut darauf auf.«
»Das Original?«
»Er sagte, du würdest das verstehen. Er sagte, dass ich esden zuständigen Stellen in Reykjavík aushändigen solle, falls keiner von euch beiden zu mir käme.«
Ich nahm das Päckchen entgegen. Ich brauchte eine Weile, um zu begreifen, was Halldór da gesagt hatte, aber dann entrang sich mir ein Seufzer der Erleichterung, als es mir endlich klar wurde. Der Professor hatte also nicht den Codex Regius auf dem Bootsdeck dabeigehabt, sondern die Kopie, die gefälschte Pergamenthandschrift, die er in seiner Verzweiflung selbst angefertigt hatte. Die hatte er die ganze Zeit in seinem Mantel gehabt. Er hatte sie über Bord geworfen, um Vater und Sohn aus der Fassung zu bringen. Auf diese Weise hatte er mein Leben gerettet.
»Ich danke Ihnen«, sagte ich und konnte meine Freude nur schwer verhehlen. »Er hat also nicht …«
»Spar dir das Siezen«, sagte Halldór. »Es wäre ihm unmöglich gewesen, den Codex Regius zu vernichten.«
»Er hat seinetwegen Furchtbares durchlitten.«
»Ist es schnell gegangen?«
»Ja, eigentlich schon«, sagte ich.
»Und die verschollenen Seiten?«
»Die sind mit ihm untergegangen.«
»Und dieser Orlepp?«
»Er ging auch über Bord. Sein Sohn lebt,
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