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Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók

Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók

Titel: Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
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glaubte ich den Namen Eleonore zu entziffern, auf der anderen stand Ronald D. Jörgensen, mit Geburts- und Todesdatum. Darunter war »P AX V OBISCUM « eingemeißelt.
    Heute Nacht würde er nicht in Frieden ruhen, dachte ich, und mich schauderte bei der Vorstellung.
    Der Professor nahm mit den Werkzeugen, die wir gestohlen hatten, die Grabplatte in Angriff und versuchte, sie zu lockern. Nie zuvor in meinem Leben war ich an einem solchen Ort gewesen. Der Professor erklärte mir, dass sichJörgensens Sarg hinter der Platte befände, wir müssten ihn nur irgendwie herausziehen und kurz untersuchen, dann würden wir ihn wieder an seinen Platz zurückschieben. Ich sah zu, wie der Professor sich abmühte. Das war mit ziemlich viel Geräuschentwicklung verbunden. Deswegen lehnte ich die kupferne Tür wieder an und hielt draußen Wache. Ich begriff, dass der Professor die Grabplatte, die vor der Sargkammer eingemauert worden war, nicht beschädigen wollte. Nach geraumer Zeit bat er mich, ihn abzulösen, und sagte mir, ich solle darauf achten, dass die Platte nicht zu Bruch ging. Er hielt die Petroleumlampe hoch. Ich sah ängstlich zu ihm hinüber, denn ich hatte plötzlich das Gefühl, dass wir beobachtet wurden, dass sich irgendwo im Dunkel des Friedhofs wachsame Augen verbargen und Zeuge dieses Frevels waren.
    »Mach dir keine Sorgen«, sagte der Professor. »Ich habe im Dom herausgefunden, dass dieser Friedhof nicht bewacht ist.«
    »Ich meine, ich hätte ein Geräusch gehört«, sagte ich und spähte umher.
    »Das bildest du dir bloß ein«, sagte er in beruhigendem Ton. »Mach weiter, es ist bald so weit. Wir sind eher von hier weg, als du denkst.«
    Er hielt Wache, und ich fuhr fort, den Stein zu bearbeiten, wobei ich versuchte, möglichst wenig Lärm zu machen. Ich war im Grunde genommen entsetzt über das, was wir da taten, und ich war jeden Augenblick darauf gefasst, dass Volkspolizisten uns umringen und verhaften würden. Im Geiste sah ich schwere Gefängnisstrafen vor mir; die Nachricht von dieser schändlichen Tat würde bis nach Island vordringen, und ich wäre für den Rest meines Lebens als Grabschänder gebrandmarkt.
    Mitten in diesen deprimierenden Überlegungen löste sich auf einmal die Platte und plumpste mit schwerem Getöseauf den Boden. Ich rief nach dem Professor, der mir half, sie von der Graböffnung wegzuschieben. Sie war unerhört schwer, und wir mühten uns lange damit ab, bis wir sie endlich gegen das zweite Grab lehnen konnten.
    Der Professor leuchtete mit der Laterne in die dunkle Öffnung hinein, und seine ungeduldige Spannung stieg, als das Licht auf den Sarg fiel. Wir begannen, ihn aus der Nische herauszuziehen. Der Professor hatte sich zweifellos diesen Augenblick wieder und wieder ausgemalt, und jetzt, wo er nicht länger Phantasie oder Traum war, vermochte er seiner Erregung kaum Herr zu werden. Er zog aus Leibeskräften an dem Sarg, der schwerer als die Grabplatte war. Unter Aufbietung unserer gesamten Kräfte konnten wir ihn ganz langsam Stück für Stück zu uns herausziehen.
    Der eindrucksvolle Deckel war mit Messingbeschlägen angeschraubt, und der Professor machte sich daran, sie zu entfernen. Er bot einen seltsamen und furchterregenden Anblick, wie er da im Schein des flackernden Lichts beim Sarg kniete und die Beschläge einen nach dem anderen mit dem Hammer bearbeitete. Der Sarg sah wie neu aus und war in seiner Kammer gut erhalten geblieben. Auf dem Deckel lag ein kleines Häufchen Staub, und ich stellte mir vor, dass es ein Blumenkranz gewesen war. Ich wusste nicht, was ich denken oder tun sollte. Ich ging zur Tür und spähte noch ein weiteres Mal voller Angst auf den Friedhof hinaus. Die riesigen Bäume wirkten im Schein des Mondes unheimlich. Es kam mir ganz so vor, als strahlten die anderen Gräber rings um uns herum Feindseligkeit aus. Ich blickte wieder in die Gruft hinein, und das Loch, in dem sich der Sarg befunden hatte, war wie ein gähnender Schlund an einem sakrosankten Ort, der Worte wie Entweihung und Zerstörung zu rufen schien.
    »Jawohl«, erklärte der Professor. »Damit dürfte es geschafft sein!«
    Das Zerstörungswerk schien keinerlei Einfluss auf seinen Seelenfrieden zu haben.
    »Schaffst du es, den Sarg zu öffnen?«, flüsterte ich. Meine Stimme klang zittrig.
    Er mühte sich mit dem Sargdeckel ab und konnte ihn unter Aufbietung aller Kräfte etwas zur Seite rücken. Er bat mich, ihm dabei zu helfen, und ich stellte die Petroleumlampe ab. Gemeinsam

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