Coe, David B. - Die Chroniken von Amarid 01 - Der Fluch des Magiers
zwei-eintausend, drei-eintausend«, um ihre Zeit während des Laufens festzuhalten - einmal hatte sie es in weniger als einhundertzehn geschafft; das wollte sie wieder probieren.
Aber auf halbem Weg - sie war gerade bei dreiundfünfzig angekommen - entdeckte sie einen blauen Schimmer im Gras und blieb stehen, um sich die Sache genauer anzusehen. Zwischen zwei hohen Grashalmen hing eine Feder. Sie war beinahe so lang wie Cailins Hand und auf einer Seite des hellen Kiels blau und auf der anderen blauschwarz gefleckt. Federn, das wusste Cailin, brachten Glück - »Geschenke Amarids« nannte ihr Vater sie -, und obwohl ihr das niemand je direkt gesagt hatte, ging sie davon aus, dass man sich etwas wünschen durfte, wenn man eine Feder fand.
Sie nahm die Feder in die Hand, schloss die Augen und wünschte sich, was sie sich immer wünschte. »Ich wünschte, ich wäre älter«, sagte sie laut. Sie war jetzt sieben, und das war schon ziemlich alt, aber sie wollte lieber vierzehn sein wie Zanna, die Tochter der Nachbarn, die manchmal auf Cailin aufpasste, wenn ihre Eltern arbeiteten. Dann würden die Jungen ihre Burgen nicht mehr zerstören, und sie würde wie Zanna in die kleine Stadt auf der anderen Flussseite gehen dürfen. Cailin war nicht sicher, was es dort gab, denn sie hatte ihr ganzes Leben in Kaera verbracht. Der Gedanke, das Dorf alleine zu verlassen, und sei es nur, um den Fluss zu überqueren, kam ihr exotisch und aufregend vor.
»Cailin!«, erklang die Stimme ihres Vaters abermals, und diesmal hörte er sich an, als könnte er böse werden. Sie schaute zum Haus. Er stand auf der Veranda hinter dem Haus, die Hände in die Hüften gestemmt, und sein dunkles, lockiges Haar wehte leicht im Wind. Cailin hielt die Feder ganz fest - wenn sie sie verlor, hatte sie schon vor langer Zeit entschieden, würde ihr Wunsch nicht in Erfüllung gehen - und fing wieder an zu laufen. Jetzt zählte sie nicht mehr mit.
»Rein mit dir«, sagte ihr Vater, hielt die Tür auf und ließ sie unter seinem ausgestreckten Arm hindurchhuschen. »Dein Essen wird kalt.« Seine Stimme klang immer noch entschlossen, aber er grinste, als sie an ihm vorbei ins Haus ging.
»Wo warst du denn?«, fragte ihre Mutter, die schon am Tisch saß, und lächelte. Ihre Mutter war die hübscheste Frau, die Cailin je gesehen hatte. Ihr Haar hatte dieselbe Farbe wie Cailins, aber es war sogar noch länger, und ihre Augen waren hellblau, wie die ihrer Tochter.
»Ich habe eine Feder gefunden«, antwortete Cailin atemlos und zeigte ihren Eltern ihren Schatz. »Ein Geschenk von Amarid. Ich hab mir etwas gewünscht. Du und Papa, ihr habt mir doch gesagt, dass Federn Glück bringen.«
Ihre Mutter hörte auf zu lächeln und sah ihren Vater ernst an. Cailin dachte, dass sie beinahe ängstlich aussah. Das Mädchen wandte sich seinem Vater zu, der nun ebenfalls grimmig dreinschaute.
»Bringen sie denn kein Glück?«, fragte Cailin plötzlich unsicher.
Ihr Vater zögerte, dann nickte er. »Doch«, erwiderte er und warf ihrer Mutter einen raschen Blick zu. »Sie bringen Glück.« Er beugte sich vor und drückte Cailin einen Kuss auf die Stirn. »Du solltest dir lieber die Hände waschen!« Erleichtert wandte sich Cailin ihrer Mutter zu, die jetzt wieder lächelte, obwohl ihr Blick immer noch ernst war. »Ja, Papa«, sagte Cailin, beruhigt zu wissen, dass sich ihr Wunsch erfüllen würde. Sie eilte nach draußen zum Trog an der Seite des Hauses und wusch sich rasch den Sand von den Händen. Als sie nach Westen schaute, über den Fluss hinaus, sah sie die Sonne, die sich riesig und orangefarben langsam hinter den Horizont schob. Sie fragte sich, ob ihre Burg wohl noch stand.
Dann eilte sie nach drinnen, setzte sich an den Tisch und faltete die Hände, während ihr Vater die Dankesworte an Arick sprach. Als er fertig war und sie alle den gebratenen Fisch und das Gemüse aßen, das ihre Mutter gekocht hatte, erzählte Cailin ihren Eltern alles über die Burg, die sie am Fluss gebaut hatte. Die Eltern lächelten und stellten Fragen über die Prinzessin, die in der Burg wohnte, obwohl Cailin viel mehr an der Burg selbst interessiert war.
»Papa, gibt es Prinzessinnen in Tobyn-Ser?«, fragte Cailin, als ihr schließlich nichts mehr einfiel, was sie noch erzählen könnte.
»Nein«, antwortete ihr Vater kopfschüttelnd. »Aber in Abboriji gibt es eine Königin, und ich glaube, sie hat zwei Töchter, die beide Prinzessinnen sind.«
»Warum gibt es denn hier keine
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