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Coe, Jonathan

Coe, Jonathan

Titel: Coe, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die ungeheurliche Einsamkeit des Maxwell Sim
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Korrekturen an ihrem Erscheinungsbild vornahm, ging ich hinaus, um den
randvoll mit ihren Papieren gefüllten Karton hereinzuholen. Es war inzwischen
bitterkalt, erste winzige Schneeflocken schwirrten ominös durch die Nachtluft.
Als ich mit dem Karton ins Foyer zurückkam, schaute sie mich ungläubig an.
    »Was ist das denn, um Himmels willen?«
    »Das gehört dir. Deine Eltern
haben mich gebeten, es dir mitzubringen.«
    »Ich will das nicht haben.«
    »Sie auch nicht.«
    »Was ist das für 'n Zeug?«
    »Von der Uni, glaube ich. Wo
soll ich den Karton hinstellen?«
    »Ach, stell ihn einfach da
ab.« Sie schüttelte den Kopf. »Sie sind furchtbar. Ist doch abartig, dich das
Zeugs ganz hier raufbringen zu lassen.«
    Sie wickelte sich in einen
künstlichen Pelz und tippte einen vierstelligen Code in so einen kleinen Kasten
an der Wand, bevor sie hinaustrat und hinter uns die Tür schloss. Der Boden war
schon ein bisschen rutschig; sie nahm meinen Arm, als wir zum Auto gingen. Es
war schön, dass sie sich so dicht an mich schmiegte. Von der Oberfläche ihres
Pelzmantels ging eine seltsam tröstliche Wirkung aus.
    »Oh, toll - ein Prius«, sagte
sie. »Über den haben Philip und ich auch schon nachgedacht.«
    Fast hätte ich verraten, dass
es ein Firmenwagen war, aber ich hielt den Mund. Sollte sie nur denken, dass er
mir gehörte.
    Das Auto glitt auf seine leise
Art durch diese dunklen, verschwiegenen Straßen. Die Fassaden wirkten massiv
und eindrucksvoll, nur hinter wenigen Fenstern brannten Lichter. Wir waren
höchstens ein, zwei Minuten gefahren und schon an zwei Polizeiwagen
vorbeigekommen - der eine fuhr langsam durch die Straßen, der andere war am
Randstein geparkt. Ich machte Alison darauf aufmerksam, und sie erklärte mir:
»Die Leute hier machen sich große Sorgen wegen der Kriminalität. Weißt du, in
diesem Viertel wohnen viele Millionäre - die meisten sind Banker -, und auf
solche Leute richtet sich im Augenblick eine Menge Hass. Allein in dieser
Straße ...«
    Sie erzählte mir eine
Geschichte von einem millionenschweren Finanzhai, der in dieser Straße wohnte
und geholt worden war, um eine der größten Banken zu leiten, und dem es gelungen
war, ihre Aktivposten auf nahezu null zu reduzieren und sich gleichzeitig mit
einem riesigen Vermögen aus Bonus- und Pensionszahlungen aus der Affäre zu
stehlen, aber ich hörte nicht sehr aufmerksam zu. Ich hatte bereits das morgige
Ziel in mein Navigationsgerät eingegeben, und weil Emma der Meinung war, wir
wären bereits unterwegs nach Aberdeen, gab sie mir die entsprechenden
Instruktionen:
    Biegen Sie nach zweihundert
Metern links ab, sagte sie.
    »Immer langsam mit den jungen
Pferden«, sagte ich zu ihr. »Das steht erst morgen auf dem Programm.«
    »Bitte?«, sagte Alison.
    Zu meinem Schrecken wurde mir
bewusst, dass ich Alison mitten in ihrer Erzählung des jüngsten Finanzskandals
unterbrochen hatte. Tatsächlich hatte ich, als Emma zu mir sprach, für einen
Moment vergessen, dass Alison auch noch im Wagen saß.
    »Mit wem hast du gerade
geredet?«, fragte sie. »Wie bitte?«
    »Es hat sich nicht so
angehört, als hättest du mit mir geredet.«
    »Natürlich hab ich mit dir
geredet. Mit wem hätte ich sonst reden sollen?«
    »Was weiß ich?« Sorge und
Misstrauen sprachen aus ihrem Blick. »Mit deinem Navi?«
    »Mit meinem Navi? Warum sollte
ich mit meinem Navi reden? Das war doch ganz schön meschugge.«
    »Allerdings.«
    Wir ließen das Thema fallen
und fuhren weiter zu unserem Restaurant.
     
    Es war ein einladendes,
diskretes Lokal, nicht weit vom Schloss entfernt. Als wir eintrafen, hatte es
mehr oder weniger aufgehört zu schneien, aber wir hatten es trotzdem eilig,
aus der Kälte in das behagliche Innere mit den gewölbten Decken und nackten
Steinwänden zu kommen. Es gab viele kleine Nischen, in denen man zu zweit in
relativer Abgeschiedenheit sitzen, essen und sich unterhalten konnte, und zu
einem solchen Tisch führte uns der Kellner, der Alison zu kennen schien und
ausnehmend höflich und aufmerksam war, als er uns die Plätze anwies. Nachdem
wir die Liste außergewöhnlicher Gerichte heimischer Provenienz auf der
Speisekarte durchgegangen waren, wählte Alison einen Salat mit Ziegenkäse,
während ich mich für geräucherte Ente entschied. Dazu bestellte sie einen
französischen Chardonnay für 42,50 Pfund. Glücklicherweise hatte Alison mich
ausdrücklich zu diesem Essen eingeladen. Mit dem Versuch, die Kosten dafür auf
meiner Spesenrechnung

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