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Coe, Jonathan

Coe, Jonathan

Titel: Coe, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die ungeheurliche Einsamkeit des Maxwell Sim
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Idiot hänge dir an den Lippen, glaube dir jedes
Wort - werfe die Hälfte meiner Lieblingsbücher weg, weil dir die Autoren
missfallen, werfe fast alle meine Gedichte weg, weil du sie mit dieser ...
kalten, kalkulierten Verachtung bedenkst. Dabei bist du nichts weiter als ein
Schwindler! Wenn ich denke, dass ich dir zugehört, dich ernst genommen habe!
Und wenn du uns gerade mal nicht im Theater zum Affen gemacht hast, dann
wolltest du mir erzählen, dass der christliche Glaube Hokuspokus ist und wir
stattdessen lieber in einem Steinkreis Ziegen opfern sollten - du hast mir
sogar weismachen wollen, du hättest einen Fluch auf deine Schwester gelegt, um
Himmels willen! Sag mal, für wen hältst du dich eigentlich? Einen Guru, einen
Magier? Eine Mischung aus F. R. Leavis, Midas und Gandalf? Ich fürchte, das
zieht alles nicht mehr, Roger - das zieht nicht mehr. Du hast mich lange genug
geblendet. Ich durchschaue dich jetzt. Mir sind die Augen geöffnet worden. Wenigstens
dafür sollte ich dankbar sein - auch wenn ich einen hohen Preis dafür zahlen
muss, einen verdammt hohen Preis. Aber gut, wir leben, um zu lernen.«
    Ich riss meine Jacke vom Bett
und wollte sie anziehen, um aus dem Zimmer zu stürmen, aber Rogers Worte,
ausgesprochen in leisem, eindringlichem, schaurig kaltem Tonfall, hielten mich
zurück.
    »Ich habe einen Fluch auf meine
Schwester gelegt.« Ich hielt inne, einen Arm in den Ärmel gesteckt. »Bitte?«
    Statt einer Antwort ging Roger
hinüber zum Kamin und nahm einen Brief vom Sims. Er war auf zwei Bögen blaues
Briefpapier geschrieben, in der Mitte gefaltet. Er reichte ihn mir und sah mir
über die Schulter, während ich ihn las.
    Er war von seiner Mutter. Ich
erinnere mich nicht mehr an Einzelheiten, nur noch an die Passage, in der sie
Roger mitteilte, dass seine Schwester am Boden zerstört sei, weil sie vor ein
paar Tagen ihr Baby bei einer Fehlgeburt verloren hatte.
    »Und?«, sagte ich, gab ihm den
Brief zurück und schlüpfte vollends in meine Jacke.
    »Mein Werk«, sagte er.
    Ich sah ihn kurz an. Er schien
es ernst zu meinen. »Mach dich nicht lächerlich«, sagte ich und ging zur Tür.
    Roger
griff nach meinem Arm und zog mich zurück. »Es ist wahr, glaub's mir. Ich habe
sie darum gebeten.«
    »Wen
hast du darum gebeten?«
    »Die
Göttin.«
    Ich hatte keine Lust, mir das
länger anzuhören. Ob es wahr war oder nicht (oder besser: ob er es glaubte oder
nicht), ich wollte nur noch fort von ihm.
    »Viel Vergnügen bei eurem Fest
morgen«, sagte ich. »Ich fahre nach Hause.«
    Ich versuchte, ihn von mir
abzuschütteln, aber er griff fester zu. Zu meinem Erstaunen sah ich, dass seine
Augen sich mit Tränen füllten.
    »Geh nicht, Harold«, sagte er.
»Bitte geh nicht.«
    Ehe ich mich versah, zog er
meinen Kopf zu sich heran und küsste mich auf den Mund. Ich wollte
zurückziehen, aber seine Umarmung war kräftiger, als ich für möglich gehalten
hatte.
    »So vieles«, flüsterte er,
während die Stoppeln seines Bartes grob über meine Lippen bürsteten, »haben
wir noch nicht gemacht. Es gibt noch so vieles zu tun ...«
    Seine Erektion drückte gegen
meinen Unterleib. Mit einer letzten Anstrengung befreite ich mich und stieß
ihn mit aller Kraft von mir fort. Der Stoß brachte ihn aus dem Gleichgewicht,
und er stürzte in den Kamin, wo er das elektrische Feuer (das zum Glück nicht
brannte) umstieß und halb sitzend, halb liegend landete, sich den Kopf an der
Stelle reibend, wo er gegen die viktorianischen Kacheln geknallt war. Einen
Augenblick befürchtete ich, ihn womöglich ernsthaft verletzt zu haben, aber ich
war so erzürnt, dass ich, statt ihm zu helfen, die Tür aufriss und aus dem
Zimmer stürmte, ohne einen Blick zurückzuwerfen.
     
    Viel mehr gibt es nicht zu
erzählen.
    Roger sollte ich erst über ein
Jahr später wiedersehen. Montagfrüh erreichte mich eine kurze, geschäftsmäßige
Mitteilung, die mich aufforderte, eine erhebliche Summe Geld an Crispin Lambert
zu zahlen. Ich kratzte den Betrag zusammen (das meiste lieh ich mir von meinen
Eltern) und schickte ihm das Geld, so schnell es ging. Danach begann eine sehr
ruhige Zeit. Ich hörte, dass Roger die Maklerfirma verlassen hatte und nicht
mehr auf dem Börsenparkett arbeitete, aber ich erfuhr nicht, was aus ihm geworden
war. Ich unterdrückte meine Neugier, sosehr es mich auch interessiert hätte.
Ich verstand immer besser, was für ein gefährlicher Mensch er war. Und wie
gefährlich die Gefühle waren, die er beinahe in mir

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