Coins - Die Spur des Zorns
haben Sie. Wünsche erfolgreichen Tagesverlauf. Tschüss.“ Das Knacken im Lautsprecher signalisierte das Ende der Verbindung.
Pohl starrte Schöller überrascht an. „Das war doch Schrage!“
„Richtig.“
„Weiß der, wo wir sind?“
„Ich glaub‘ nicht, aber er ahnt es sicherlich.“
Pohl nickte stumm. Schöller hatte inzwischen den Wagen beschleunigt. Er grinste Pohl an. „Kaum haben Sie gepinkelt, schon hört es auf zu regnen. Hätten Sie auf mich gehört, wären Sie trocken geblieben …“
Pohl hatte ihm überhaupt nicht zugehört. Er war mit einem Mal sichtlich aufgeregt, stieß mit dem Zeigefinder fast an die Frontscheibe. „Dort ist der Hafen! Und da hinten – das ist bestimmt die Henrietta!“ An Bord dieses Schiffes befanden sich seine Töchter! So nah war er ihnen seit vier Wochen nicht mehr!
„Dreißig misst der Pott, dürfte kaum zu übersehen sein. Sie haben recht. Das ist sie! Jetzt geht’s los, Professor! Jetzt sind wir dran! Achten Sie auf Ihrer Seite auf einen Bundeswehr-Lkw. Der soll in der Nähe der ersten Mole stehen.“
„Ich sehe ihn schon! Ein Unimog. Er steht an der Schmalseite des ersten Gebäudes.“
„Das sind sie.“
Pohl bekam Schöllers Bestätigung schon nicht mehr mit. Gebannt starrte er hinüber zur gegenüberliegenden Mole, an der längsseits die Henrietta lag, den Bug zur Hafenausfahrt gerichtet. Das Schiff war größer, als er es sich vorgestellt hatte, vor allem aber eines: Bildschön und schnittig vermittelte es den Eindruck von Luxus, Kraft und Geschwindigkeit. Es lag dort geduckt im aufkommenden Sturm, jederzeit bereit, davonzujagen. Keine Macht der Welt würde es aufhalten können – das war die Botschaft seiner Silhouette. Pohls Blick glitt die endlos scheinende Mole entlang, erst hinunter zur offenen See, wo ein Leuchtturm ihr Ende markierte, dann hinauf zur Küste. Die Henrietta war das einzige Schiff, das an der Mole, gut einen Kilo-meter vom Festland entfernt, festgemacht hatte – ein idealer Platz aus Sicht der Entführer. Pohls eben noch spürbare Euphorie wich mit einem Schlag niederschmetternder Beklemmung. Wie sollte es angesichts dieser Situation gelingen, unbemerkt an Bord der Henrietta zu gelangen? Sie waren so nah am Ziel und doch unendlich weit davon entfernt.
Hans Obrig schwenkte in verhaltenem Dauerlauf in den parallel zur Landstraße angelegten Weg ein. Er war ein trainierter Jogger, doch weiß der Teufel, woran es lag, heute fühlte er sich ausgepumpter, als dies nach dieser Distanz gewöhnlich der Fall war. Das Alter konnte es keinesfalls sein, denn Hans Obrig achtete sehr auf seine jugendliche Erscheinung. Dass er auf die fünfzig zuging, sah man ihm nicht an. Jedenfalls war er davon überzeugt.
„Bei Fuß, Senta!“
Die Schäferhündin folgte aufs Wort, trabte neben ihrem Herrchen her. Einen Kilometer oberhalb kämen sie auf freies Feld. Dort durfte sie wieder nach Herzenslust herumstromern. Es war, die Wochenenden ausgenommen, stets dasselbe Programm, dem Hund längst zur Routine geworden. Doch heute sollte es anders kommen.
Sie hatten den Parkplatz erreicht, an dessen erster Bank Hans Obrig die Stretchübungen zu machen pflegte. Zielstrebig steuerte er den gewohnten Ort an, als der Hund nicht, wie gewohnt, dort stehen blieb, vielmehr einige Meter weiterlief, dann plötzlich – die Nase witternd in den Wind erhoben – mit gesträubtem Fell verharrte.
„Was ist los, Senta?“
Hans Obrig ahnte, dass etwas anders als gewöhnlich sein musste. Sein Blick strich über den Parkplatz, verweilte einen Moment auf dem silberfarbenen Mercedes, der am anderen Ende unmittelbar neben dem Buschwerk parkte. Um diese Uhrzeit war dies zwar ungewöhnlich, aber kein Anlass, das Joggingprogramm zu unterbrechen. Senta schien das nicht anders zu sehen, denn sie stand noch immer dort, den Kopf in den böigen Wind gereckt. Weiß der Teufel, was sie dort so Interessantes witterte.
Hans Obrig stellte den linken Fuß auf die Bank, begann schwungvoll die Übung. Aus dem Augenwinkel bekam er mit, dass Senta sich kurz nach ihm umschaute, erst verhalten einige Meter weit lief, um plötzlich im Schweinsgalopp in Richtung des Mercedes zu rasen.
„Senta! Hierher! Bei Fuß!“
Die Hündin reagierte nicht, rannte unbeirrt den Parkplatz entlang, bis sie schließlich den Wagen erreichte, diesen einmal umrundete, um dann hysterisch kläffend rechts davon stehen zu bleiben. Hans Obrig erkannte auf Anhieb, dass die Hündin jemanden im Auto gestellt
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