Coins - Die Spur des Zorns
auf der Mailbox. Ich rufe sie mehrfach am Tag ab. Telefonisch können Sie mich nach diesem Gespräch nicht mehr erreichen. Haben Sie die Nummer notiert?“
„Hab‘ ich. 0176 5120 15732.“
„Korrekt. Dann vermutlich bis Samstag in Sassnitz. Danke, dass Sie bereit sind, Ihr Wochenende zu opfern. Ende.“
Schöller hatte die Verbindung mit dem letzten Wort beendet. Schrage legte Handy, Schreibblock und Kuli zurück auf den Nachttisch. Er stutzte. Irgendetwas stimmte nicht! ‚Haben Sie was zu Schreiben griffbereit?‘ Das war’s! Schöller wusste seit Jahren, dass auf dem Nachttisch prinzipiell Block und Kuli lagen! Nie hätte er danach gefragt! Der Anrufer eben – das war nicht Schöller!
Tomislav Korosec grinste. „Na? Wie war die Überfahrt? Wie ich sehe, sind die Herrschaften ein wenig nass geworden …“
Er brach schlagartig ab, als er in Fortmans Hand die Walther P1 erkannte. Sein Blick schoss hinüber zu Schöller. Der lehnte an der Wand des Ruderhauses, unmittelbar neben der Tür zum backbordseitigen Brückennock. In der Rechten schimmerte mattschwarz die unverhohlene Todesdrohung einer Walther P99. Der Kapitän der Baltic Vis rang um Fassung. „Was … was soll das?“
„Wenn Sie unseren Anweisungen folgen, geschieht Ihnen nichts.“ Fortmans Blick huschte durch das Ruderhaus. „Jeder bleibt, wo er ist und rührt sich nicht. Das gilt besonders für die Hände. Wo ist der Inder?“
„Sie meinen Jamal Khan?“ Die Sonnenbräune im Gesicht des Kapitäns war betonfarbenem Grau gewichen. Auch dem Ersten Offizier und dem Rudergast hatte der Schreck erkennbar zugesetzt. Sie standen zu Salzsäulen erstarrt, einzig ihre Augen jagten panisch zwischen Fortman und Schöller hin und her. Es war unübersehbar, wie sehr die Situation sie überforderte.
„Gibt es noch mehr Inder an Bord?“
„Nein, nein! Nur diesen Jamal Khan!“
„Also meine ich den. Wo ist er?“
„In seiner Kabine. Er wird gleich kommen. Er wollte seinen Laptop holen.“
„Warten wir hier auf ihn! Rufen Sie inzwischen alle Mann auf die Brücke. Alle, hören Sie?“
Der Kapitän nickte hastig. Nur keinen Fehler machen! Er drückte die Sprechtaste, machte die Durchsage, wie befohlen, sah hierbei Fortman ängstlich an … und wiederholte sie vorsichtshalber. Fortman bezog indessen Position neben der Tür des steuerbordseitigen Brückennocks, Schöller tat dies gegenüber. Aus diesen Positionen kontrollierten sie das gesamte Ruderhaus. Sollte die Situation es erfordern, könnten sie vom jeweiligen Brückennock aus blitzschnell in das Geschehen auch außerhalb der Schiffsbrücke eingreifen.
Allmählich füllte sich das Ruderhaus. Erschreckte Blicke, Ratlosigkeit zunächst, dann aufkommende Wut. War das eine Entführung, Piraterie? Der Kapitän und der Erste Offizier reckten die Köpfe, ließen ihre Blicke über die versammelte Mannschaft streichen. Als Letzter trat der Schiffsingenieur ins Ruderhaus. „Mannschaft ist vollständig angetreten, Mister.“
Fortman musterte argwöhnisch den Kapitän. „Die Mannschaft, sagen Sie? Fehlt also noch immer der Inder. Sonst noch jemand? Schauen Sie genau hin! Machen Sie keinen Fehler!“
Sichtlich verunsichert suchte der Blick des Kapitäns den Ersten Offizier. „Fehlt noch jemand, Marko?“ Lieber der Erste Offizier beging einen Fehler, als er.
„Na klar! Der Kasache!“
„Der Kasache?“ Fortmans Blick verhieß nichts Gutes.
„Er gehört nicht zur Mannschaft, Mister!“ Der Kapitän beeilte sich um Erklärung. „Er ist der Assistent von Jamal Khan, dem Inder. Wir kennen nur seinen Vornamen: Berik …“
„Der Assistent? Der Inder hat einen kasachischen Assistenten?“
Der Kapitän griff sich in den Kragen. Er fühlte sich unter dem Blick des Fremden verdammt unbehaglich. Wieder suchte sein Blick den Ersten Offizier. „Das sagte der Inder doch, Marko. Oder?“
„Assistent, Bodyguard, irgend so was. Vermutlich beides.“
„Wo ist der Kerl jetzt? Und warum ist der Inder noch nicht hier?“
Der Kapitän hob hilflos die Schultern. Fortman war wütend. Den Kasachen hatten sie nicht auf der Agenda. Woher auch? „Alles stellt sich nebeneinander an die Rückwand. Niemand steht hinter jemandem, kapiert? Wer Waffen bei sich hat oder Gegenstände, die als Waffe benutzt werden können, hat jetzt noch Gelegenheit, diese vor sich auf den Boden zu legen.“ Sein Blick war Warnung und Drohung zugleich. Gehorsam baute sich die Mannschaft nebeneinander auf. Zwei Mann legten vor sich
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