Coins - Die Spur des Zorns
Stacheldraht gekrönter Stahlzaun überwunden werden. Doch auch hier hatte er vor-gesorgt.
Er hatte das Fluchtgeschehen sorgfältig geplant, vor Ort sogar zweimal durchexerziert. Es würde bei der morgigen Aktion eine wichtige Rolle spielen, nichts durfte dem Zufall überlassen werden. Er legte die Lageskizze zurück auf den Tisch. Egal, was morgen passieren mochte, seine Planung hatte Bestand. Ungelöst blieb allerdings das Problem: Wie verhielte er sich, sollte Kustow nicht allein aufkreuzen? Zu dritt wären sie eine kaum beherrschbare Gefahr! Vor allem aber: Keiner von ihnen durfte überleben! Das wäre gleichbedeutend mit seiner Enttarnung, dem Ende seiner Aktion. Alles wäre vergeblich gewesen! Alena und Alexa befänden sich noch immer in den Händen der Entführer, er wäre ein Mörder, auf Jahre hinter Gittern könnte er seinen Kindern keine Hilfe sein.
Zweifel kamen auf, begannen Pohl zu verunsichern. Das durfte nicht sein, nicht in dieser alles entscheidenden Phase! Er verdrängte – darin war er inzwischen geübt – diesen Gedanken, blickte durch die Tür zum Treppenfuß, dachte einen Moment nach. Er nickte unbewusst, offensichtlich in Gedanken versunken. Dann nahm er die Treppe nach oben.
Als er an den Küchentisch zurückkehrte, hielt er zwei Münzkapseln in der Hand. Er konnte sich nicht sicher sein, ob Keffko das ihm zugedachte Geldstück tatsächlich erhalten hatte. Er baute auf die psychologische Wirkung des Fanals, darum sicherheitshalber zwei Münzen. Er legte sie zu der bereits neben der Pistole liegenden Kapsel. Sollten sie morgen zu dritt kommen, hätte er drei Fünfmarkstücke ‚im Angebot‘! Alles Weitere ergäbe sich. Er wunderte sich, mit welcher Leichtigkeit er inzwischen mit den Herausforderungen seines Kreuzzugs umging.
Sein Blick glitt von den Münzen zur 9mm-Walther, die mattschwarz-glänzende Gefährlichkeit verströmte. Wieder käme seine Waffe, nicht Schöllers Pistole zum Einsatz. Pohl lächelte bei diesem Gedanken. Er hatte an alles gedacht!
Neben der Pistole lag ein Seitenschneider, daneben etliche Kabelbinder. Er würde möglicherweise mehr davon benötigen, sollten sie morgen tatsächlich zu dritt auftauchen. Im Keller hatte er genügend davon; er durfte sie nicht vergessen. Dann gab es da noch die Glückwunschkarte, auf dieser den Kugelschreiber, Werbung der Lotto-Gesellschaft, in Deutschland sicherlich mehr als eine Million Mal verteilt. Pohl grinste bei dem Gedanken an die Rolle, die dieses Ensemble morgen spielen würde.
Zuunterst lugte das übliche ‚Personalblatt‘ hervor, in seinen Ursprüngen aus seinerzeitiger Verlegenheit entstanden, mit der Zeit dem jeweiligen Informationsstand angepasst. Er zog es hervor, studierte seinen Inhalt zum x-ten Male. Natürlich kannte er längst alle Details, aber dieser Akt hatte etwas Beschwörendes, Schamanenhaftes, tauchte er doch beim Lesen vermeintlich in die Psyche des Opfers ein. Es wurde transparenter, ausrechenbarer. Er wusste, dass dies eher Selbstbetrug als sachlich begründet war, aber er mochte von diesem Ritual nicht mehr Abstand nehmen. Was fünf Mal funktionierte, hatte seine Berechtigung unter Beweis gestellt. Er konzentrierte sich auf die gesammelten Daten:
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Boris Kustow, Russlanddeutscher, 24 Jahre, Iljas älterer
Bruder; Spitzname: Russe
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Zeitpunkt der ‚Einwanderung‘ nicht in Erfahrung zu bringen
(Keffko: Mutter wohnt in Riga); Verbindung zu Alexej Kustow,
in Duisburg ansässiger ‚Unternehmer‘ (Export, Import,
Erlebnis-Touristik in Ländern der GUS)
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1,92m, athletisch, schwarzer Gürtel (Karate, Taekwondo)
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Ausbildung: unbekannt (hat weißrussische Schulen besucht)
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Besondere Kennzeichen: rasierter Schädel, Tätowierungen
im Nacken und auf beiden Armen
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Achtung: in der Regel bewaffnet (Pistole, Springermesser)!
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charakterloser Lump, gleichermaßen durch Aggressivität
wie Bauernschläue gekennzeichnet
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Intensivtäter, wegen Drogenhandels, Raubes, Kfz-Diebstahls, schwerer Körperverletzung und Einbruchs mehrfach
vorbestraft (aktuell auf Bewährung)
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Gangleader (Sanda Gang), Dienstleister im Babylon (Personenschutz, Türsteher, Kurier, Security (!) bei
Veranstaltungen)
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Besonderheiten: kriminelle Verbindungen nach Weißrussland
und in die Ukraine; jähzornig, unberechenbar, extrem
gefährlich, da in der Wahl seiner Mittel vollkommen
hemmungslos
Er hatte sich bei Boris Kustow die größte Mühe gegeben, Keffko Informationen zu
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