Colin Cotterill
als seine Kampfgefährten. Wäre der ranghohe Genosse Kham nicht gewesen, hätte er sich in sein Gästehaus zurückgezogen und den Schlaf der Sieger geschlafen.
Der hagere, hochgewachsene Genosse hatte den freien Platz neben Siri sogleich erspäht und setzte sich.
»Tja, Genosse Siri, haben wir es doch tatsächlich geschafft.«
»Sieht ganz so aus.« Siri war Reiswhisky in solchen Mengen nicht gewohnt und hatte seine Zunge nicht mehr ganz in der Gewalt. »Trotzdem habe ich das Gefühl, wir feiern eher das Ende als den Anfang einer Ära.«
»Wie wusste schon der gute alte Marx? ›Al er Anfang ist schwer. ‹«
»Bei der Lösung der bevorstehenden Probleme dürfte euch Marx al erdings keine al zu große Hilfe sein. Aber eins muss man Ihnen lassen, Kham: Sie haben die Zweifler souverän zum Schweigen gebracht.« Er erhob sein Glas, stieß mit Kham an, trank jedoch al ein. Die Augen des Genossen saßen tief in ihren Höhlen, wie Schlangen, die ihre Umwelt argwöhnisch belauern.
»Sie sagen ›euch‹, als ob Sie nicht vorhätten, uns bei der Lösung unserer Probleme zu helfen.«
Siri lachte. »Genosse Kham, ich bin fast so alt wie das Jahrhundert. Ich glaube, ich habe mir meinen kleinen Garten, meinen gemütlichen Morgenkaffee, meine geruhsame Nachmittagslektüre und meinen süßen Cognac vor dem Schlafengehen redlich verdient.« Kham prostete dem Premierminister zu, der rotwangig und selig vor Glück am anderen Ende des Saales saß. Beide leerten ihre Gläser und ließen sich ein neues bringen.
»Komisch. Wenn ich mich recht entsinne, haben Sie keine Verwandten mehr.
Wie also gedachten Sie diesen dekadenten Lebensstil zu finanzieren?«
»Ich dachte, nach sechsundvierzig Jahren Parteimitgliedschaft hätte ich Anspruch…«
»Auf eine Rente?« Kham lachte höhnisch.
»Warum nicht?«
Siri hatte geglaubt oder doch zumindest angenommen, dass er sich zur Ruhe setzen würde, wenn die Schlacht gewonnen war. Davon hatte er geträumt, in schwülen Nächten in den Wäldern des Nordens. Dafür hatte er gebetet, über dem Leichnam jedes Kindes, das er dem Tod nicht hatte entreißen können.
Und weil er so fest daran geglaubt hatte, hielt er es für selbstverständlich, dass al e anderen diesen Glauben teilten.
Kham machte sich weiter über Siris Pläne lustig. »Mein alter Freund, nach sechsundvierzig Jahren müssten Sie es eigentlich besser wissen. Ein echter Sozialist gibt, solange er noch etwas geben kann. Wenn Sie nicht mehr wissen, wo Ihr Mund ist und Ihnen Ihr Frühstücksei das Kinn hinabrinnt, wenn Sie sich die Unterhose mit Handtüchern ausstopfen müssen, weil Sie das Wasser nicht mehr halten können, dann wird der Staat sich Ihnen gegenüber dankbar zeigen. Der Kommunismus sorgt für al e Schwachen und Gebrechlichen.
Aber wenn ich Sie mir so ansehe. Sie erfreuen sich bester Gesundheit. Sie haben einen scharfen Verstand. ›Jeder nach seinen Fähigkeiten, jeder nach seinen Bedürfnissen.‹ Fänden Sie es nicht auch ein wenig egoistisch, dem Land, für dessen Befreiung von der Tyrannei Sie in den Kampf gezogen sind, den Dienst zu verweigern?«
Siri sah zum Kreis der Würdenträger hinüber. Der Präsident, ein bekehrtes Mitglied des Königshauses, saß zwischen zwei schnuckligen Soldaten mit getuschten Wimpern und sang ihnen ein vietnamesisches Revolutionslied vor.
Sofort waren al er Augen auf ihn gerichtet, und ringsum verstummten die Gespräche. Nach der Hälfte der zweiten Strophe fand das Lied ein jähes Ende, als er den Text vergaß und die Genossen in Jubel und Applaus ausbrachen. Das kleine Orchester aus Holz- und Bambusinstrumenten auf der Bühne fing an zu spielen, und die Gespräche wurden in gedämpfterem Tonfal fortgesetzt. Siri hatte die Enttäuschung noch nicht verschmerzt. Er wartete, bis Kham die hitzige Diskussion mit seinem anderen Sitznachbarn beendet hatte, und attackierte ihn dann heftiger, als man es von ihm gewohnt war.
»Ich nehme an, das Politbüro hat meinen Fal bereits erörtert.«
»O ja. Sie haben uns al die Jahre mit ihrer stil en Hingabe beeindruckt.«
»Stil « interpretierte Siri als »passiv«. Da er die revolutionäre Leidenschaft, die man von ihm erwartete, seit etwa zehn Jahren vermissen ließ, hatte man ihn ins Parteigästehaus Nummer drei verbannt, fernab von Xam Neua, wo die richtungsweisenden Entscheidungen getroffen wurden. Dort behandelte er verwundete Frontkämpfer und verlor die eifrigen Genossen und ihre politischen Machenschaften al mählich aus den
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