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Colin Cotterill

Titel: Colin Cotterill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr. Siri und seine Toten
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lassen.«
    »Ich wusste es.« Sie schien irgendwie erleichtert. Als könnte sie mit der Tatsache, dass ihre Schwester ermordet worden war, weitaus besser leben als mit der Vorstel ung, dass sie Selbstmord begangen hatte.
    »Die Einbalsamiererin ist eine Bekannte von mir. Sie macht Ihre Schwester für Ihre Familie hübsch zurecht, und ich sorge dafür, dass der Leichnam in den Norden überführt wird.« Er wol te ihr eben Frau Nans Adresse aufschreiben, als ihm etwas einfiel. »Können Sie lesen?«
    »Nein.«
    »Gut. Dann muss Frau Nan eben zu Ihnen kommen. Wenn al es so weit ist, gibt sie Ihnen Bescheid.«
    Sie nahm Siris Hände und drückte sie, die großzügigste Dankesgeste, die sie kannte. Sie sprach weder von Rache, noch verlangte sie Gerechtigkeit, vermutlich, weil sie selbst nie welche erfahren hatte. Aber Siri wol te, dass sie daran glaubte.
    »Ich werde den Mörder Ihrer Schwester finden. Das verspreche ich Ihnen und Ihrer Familie. Wissen Sie irgendetwas über ihre Männer, das mir helfen könnte, sie zu identifizieren?«
    »Ich kann jetzt nicht klar denken.«
    »Ich verstehe. Fal s Ihnen etwas einfäl t, wissen Sie ja, wo Sie mich finden.
    Bis dahin sprechen Sie bitte mit niemandem über den Mord. Mit niemandem.«
    »Keine Sorge.« Sie riss noch ein Papiertuch ab und wischte sich damit das Gesicht. »Wie sehe ich aus?«

    »Schön. Wunderschön.«
    Sie lächelte zweifelnd, aber irgendwie befreit, und ging zur Tür hinaus. Siri sackte erschöpft in sich zusammen. Solcherlei Begegnungen setzten ihm weitaus stärker zu als der Umgang mit Toten. Das galt besonders für Frauen.
    Ein toter Mann war ihm al emal lieber als eine lebendige Frau.
    In seiner Ehe hatte es nicht einen Tag gegeben, an dem er Boua nicht geliebt hatte. Aber in den letzten drei Jahren ihres Lebens hatte sie diese Liebe reichlich strapaziert. Sie war immer schon stärker gewesen als er, und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Die wenigen Auseinandersetzungen, in denen er nicht verdientermaßen unterlegen war, hatte er verloren, weil er nachgegeben hatte. Je älter sie wurde, desto schnel er riss ihr die Geduld.
    Sie konnte ihre Enttäuschung darüber, wie langsam es mit der Revolution voranging, nicht verhehlen. Als hätte sie das Schmuckkästlein geöffnet, in dem sie al ihre Mädchenträume aufbewahrte - Träume von einer Welt der Vernunft, des Glücks und der Gerechtigkeit und darin nur ein paar klägliche Überreste gefunden. Nachdem sie sich eingeredet hatte, dass es der Armee sowohl an Engagement als auch an Altruismus fehle, um eine Regierung zu schaffen, die einzig und al ein dem Volk verpflichtet war, hatte sie sich verändert.
    Auch wenn es ihr nicht bewusst war, bestrafte sie Siri für ihre gescheiterten Hoffnungen. Er erhob nie die Stimme gegen sie oder verteidigte sich, wenn sie ihn wieder einmal vor anderen schlechtmachte. Er war Arzt, und sie war eine kranke Frau. Gegen ihren Zorn half keine Medizin, weswegen er auf das natürlichste al er Heilmittel zurückgreifen musste: Mitgefühl.
    In ihrem letzten Lebensjahr hatte er sich immer öfter zu Einsätzen außerhalb des Camps gemeldet, damit er möglichst wenig Zeit mit ihr verbringen musste. Wenn er in ihrer Nähe war, schien das ihren Zorn noch zu befeuern.
    Zwei Tage vor ihrer Ermordung war er nach Nam Khan gefahren, um dort ein Feldlazarett mit aufzubauen. Bei seiner Abreise hatten der Arzt und seine Frau keine Nettigkeiten ausgetauscht: keinen Abschiedskuss, kein hingesagtes »Ich liebe dich«. Er hatte ihr schlicht mitgeteilt, dass er jetzt gehe, und sie hatte diese Mitteilung mit einem Nicken quittiert.
    Der einzige Mensch, den er in seinen Träumen stets gesucht hatte, war ihm darin nie erschienen. Boua war in dem Glauben gestorben, dass er sie nicht liebte. Sie war gestorben, und sie hatte ihn gehasst. Nur ein winziger Augenblick mit ihr hätte ihm schon genügt: ausreichend Zeit, um al es wiedergutzumachen. Aber sie kam einfach nicht.
    Seine Gedanken gingen im Zirpen der Zikaden unter, und er wischte sich mit einem Papiertuch die Tränen vom Gesicht.
    Er nahm seine Umhängetasche mit der vietnamesischen Akte darin, machte das Licht aus und schloss die Tür ab. Er wünschte einer Gruppe von Schwestern, die zur Spätschicht kamen, einen »guten Abend«, und marschierte beherzt zum Tor hinaus. Erst als er das dunkle Flussufer erreicht hatte, wurde ihm klar, wie gefährlich sein Vorhaben eigentlich war.
    Er drehte um, ging an der Klinik vorbei und bog in die

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