Colin Cotterill
Arbeit für die Katz. Kein Wunder, dass er mich umbringen wol te.«
Er duckte sich unter dem Fenster hindurch und setzte sich wieder an den Schreibtisch. Auf diese Weise entging ihm zwar der zarte Jasminduft, den der Wind ins Zimmer trug, aber sein Leben war ihm wichtiger. Er las den letzten Absatz.
»Ich glaube, ich habe die Todesursache ausfindig gemacht (s. Foto A). Sie war so gut kaschiert, dass wir uns nicht schämen müssen, weil wir sie zunächst übersehen haben. Aber ohne weitere Untersuchungen lässt sich der Beweis nicht mit letzter Sicherheit erbringen. Ich muss morgen mit der Botschaftsdelegation abreisen. Ich wil versuchen, so bald wie möglich nach Ho-Chi-Minh-Stadt zu fahren. Viel eicht finde ich dort des Rätsels Lösung.
Wenn ich zurück bin, rufe ich Sie in der Klinik an. Nicht verzagen, alter Freund.«
Ein Polaroidfoto war an die Rückseite des Aktendeckels geheftet. Es zeigte den
Unterleib
des
zweiten
Tran.
Die
Epidermis
an
der
Oberschenkelinnenseite war zurückgeschlagen. Abgesehen von der Verkohlung im Bereich der Strommarke war darauf deutlich ein kreisförmiges Hämatom von der Größe eines amerikanischen Zehn-Cent-Stücks zu erkennen. Nguyen Hong hatte es mit einem »A« gekennzeichnet. Auf die Rückseite hatte er geschrieben: »Nachdem wir nachgewiesen hatten, dass es sich bei al en drei Opfern um vietnamesische Staatsbürger handelte, haben Ihre Leute die Leichen freigegeben. Um Ihnen zu zeigen, was ich meine, musste ich mir mit einem Polaroid behelfen, da ich Ihre Obduktionsbilder leider nicht finden konnte. Bei neuerlicher Durchsicht werden Sie feststel en, dass al e drei dieselbe Wunde aufweisen. Könnte von Bedeutung sein.«
Siri gluckste. Viel eicht sol te er Schwester Bounlans Großmutter anrufen und sie fragen, ob sie auf den Hochzeitsfotos etwas Ungewöhnliches bemerkt hatte. Obwohl im Bericht bislang nichts stand, was man guten Gewissens als Beweis hätte bezeichnen können, gab es einen Funken Hoffnung. Viel eicht brachte dies die Kriegstreiber auf beiden Seiten zum Verstummen, deren Mordlust offenbar noch nicht gestil t war.
Er holte Papier und Bleistift hervor und entwarf ein alternatives Szenario, das auf Mutmaßungen und Halbwahrheiten beruhte. Zwei Stunden später hatte er keinen Zweifel mehr, dass er auf der richtigen Spur war. Zwar musste er noch ein paar Lücken schließen, bevor er darüber sprechen konnte. Aber je früher er sich jemandem anvertraute, desto unwahrscheinlicher war es, dass er erschossen wurde. Er brauchte ein wenig Hilfe. Fal s sie nichts Besseres vorhatten, durften Tran, Tran und Hok ihn heute Nacht liebend gern im Traum besuchen.
15
STERBENDER SUCCUBUS
Obwohl die Vietnamesen sich nicht blicken ließen, blieb Siri nicht al ein. Er legte sich auf seine dünne Matratze, und bevor er einschlief, holte er das weiße Amulett aus seinem Beutel. Er betrachtete die abgegriffenen Schriftzeichen, die angeblich Glück brachten, und fragte sich, ob ihnen noch ein Rest dieses Zaubers innewohnte.
Er fragte sich, woher der Mönch hier im Tempel wusste, wer er war. Er fragte sich, ob der Phibob ihm vergeben oder seit Khammouan auch nur einen einzigen Gedanken an ihn verschwendet hatte. Und über al diesen Fragen schlief er ein.
Als er Minuten - oder doch Stunden? - später die Augen aufschlug, stand die brennende Öl ampe noch immer neben ihm. Er ärgerte sich, weil er vergessen hatte, sie auszumachen. Zwar bekam man im klinikeigenen Konsum gegen Wertmarken streng rationiertes Lampenöl, aber damit war es bald vorbei.
Nicht mehr lange, und er würde Speiseöl verwenden und damit die ganze Bude verpesten müssen.
Er schlug das Moskitonetz zurück und schob den Glaszylinder hoch. Aber als er das Licht ausblies, hatte er mit einem Mal das seltsame Gefühl, dass sich im Zimmer etwas verändert hatte. Er ließ den Blick langsam von einer Wand zur anderen wandern. Er wusste, dass irgendetwas nicht stimmte, er wusste nur nicht, was. Er pustete die kleine Flamme aus, und das Zimmer versank in mondloser Finsternis.
Er starrte noch einmal angestrengt in die Dunkelheit und zog sich dann unter den Netzvorhang zurück. Er bettete den Kopf auf das kleine Kissen. Aber das komische Gefühl ließ ihn nicht los. Da plötzlich fiel es ihm ein. Man konnte den Unterschied nicht sehen; man konnte ihn nur riechen. Der Geruch von bil igem Parfüm erfül te das Zimmer und wurde von Sekunde zu Sekunde stärker.
Einen Moment lang schüttelte der Mond die Wolken ab und
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