Colin Cotterill
verlassen, um sich ein Alibi zu verschaffen?«
»Möglich wär’s. Aber was halten sie davon, wenn Sie die Polizeiarbeit fürs Erste mir überlassen? Vergessen Sie nicht, wir haben noch immer nicht den Hauch eines Beweises dafür, dass er auch nur das Geringste mit den Morden zu tun hat. Wenn wir ihn belasten wol en, müssen wir Mais Mörder ausfindig machen und ihn zum Reden bringen. Wer weiß sonst noch von der Sache?«
»Bislang nur meine Mitarbeiter, Sie und ich.«
»Sie haben mit niemand sonst darüber gesprochen?«
»Nein. Halt, doch, mit der Schwester der Toten. Sie wil die Leiche nach Xam Neua überführen lassen. Aber für sie ist vor al em wichtig, dass Mai keinen Selbstmord begangen hat. Sie wird schweigen wie ein Grab.«
»Da wäre ich mir nicht so sicher. Wenn sie zu Hause mit jemandem darüber spricht, könnte Kham über Umwege davon erfahren. Schließlich stammt seine Familie aus Xam Neua. Wir stehen wieder ganz am Anfang. Als Erstes müssen wir den Originalbericht und die Obduktionsbilder beiseiteschaffen. Ich nehme an, die Unterlagen sind in Ihrem Büro?«
»Nein, in der Klinikbibliothek.«
»Wo?«
»Da sucht sie garantiert niemand. Seit al e ausländischen Bücher verbrannt worden sind, steht da oben nur noch Mist herum. Das war Dtuis Idee.«
»Hat die Bibliothek jetzt geöffnet?«
»Nein. Sie hat bis morgen früh um acht geschlossen.«
»Gut, dann komme ich gegen acht vorbei. Und wie stel en wir es an, dass Ihnen bis dahin nichts passiert?«
Siri zog eine verformte Patronenhülse aus der Tasche und legte sie auf den Tisch. Phosy stieß einen Pfiff aus.
»Kennen Sie sich mit Geschossen aus?«, fragte Siri.
»Ich weiß, dass die Kugel aus einem Gewehr stammt, aber ich bin kein Experte. Ich könnte sie mit aufs Revier nehmen und einem Kol egen zeigen.
Wo ist die andere?«
»Die andere?«
»Haben Sie nicht von zwei Schüssen gesprochen?«
»Ach so. Die habe ich an die Staatssicherheit weitergeleitet. Bei der Armee wird es ja wohl einen Bal istikexperten geben.«
»Gute Idee. Ich nehme die hier trotzdem mal mit. Viel eicht hilft sie uns ja irgendwie weiter.«
Sie tranken noch eine Weile und sprachen ausnahmsweise einmal über etwas anderes als Kriminalität und Politik. Phosy bestand darauf, Siri nach Hause zu bringen. Als sie vor Siris Haus hielten, ließ der Polizist den Scheinwerfer brennen. Das Licht erhel te die Straße und verwandelte die Schlaglöcher in schwarze Gruben. Im Gebüsch schimmerten Katzenaugen.
Aber Mörder und Attentäter waren nirgends zu entdecken.
»Sol ich reingehen und nachsehen, ob jemand im Hausflur lauert?«
»Nein. Ich habe mit so vielen Leuten über die Angelegenheit gesprochen, dass es sinnlos wäre, mich umzubringen. Andernfal s müssten die Täter die halbe Staatssicherheit mit ausradieren. Dass ich Schlagzeilen mache, halte ich für ziemlich unwahrscheinlich. Außerdem« - er senkte die Stimme -, »wer so dumm ist, sich in unseren Hausflur zu schleichen, der schneidet sich ins eigene Fleisch. Der bekommt es nämlich mit ihr zu tun.«
Leise bauschte sich der Vorhang im Parterre.
»Na, dann bis morgen früh.« Sie gaben sich die Hand.
»Danke. Gute Nacht.«
Das Moped röhrte davon und ließ Siri al ein auf der dunklen Straße zurück.
Obwohl er eben noch den Unerschrockenen gespielt hatte, war ihm hier nicht ganz geheuer. Ringsum leuchtete eine Handvol gelber Laternen, und im einen oder anderen Fenster brannte eine Kerze. Seit einiger Zeit machten die Insekten nachts keine Geräusche mehr. Al mählich fragten sich die Leute, ob auch sie sich nach Vietnam abgesetzt hatten. Saloops Hecheln war da fast schon tröstlich. Der Hund kam auf Siri zugelaufen, blieb al erdings ein paar Meter vor ihm stehen und kehrte dann wieder um.
Siri ging in die Hocke, um ihn zu begrüßen, aber das Tier kam nicht näher. Es lief von neuem auf den Doktor zu und machte dann kehrt. Siri erinnerte sich an alte Schwarz-Weiß-Filme, die Boua und er in Paris gesehen hatten. Sie handelten von einem Hund, einem Col ie oder dergleichen, der Verbrecher fing und Kinder aus brennenden Häusern rettete. Er kannte diese Nummer, wenn auch von einem weitaus ansehnlicheren Hund: Saloop wol te ihn dazu bringen, ihm zu folgen.
»Ich bin müde. Ich habe heute Abend keine Lust zu spielen.«
Doch der Hund lief unermüdlich im Kreis und forderte ihn auf, ihm zu folgen.
Als er zu bel en anfing, gab Siri schließlich nach. Er hatte die Nachbarn im vergangenen Jahr oft genug um ihren
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