Colin Cotterill
eine Fledermaus im Baum. »Und sprich leise.«
Die Obduktion an diesem Nachmittag dauerte nicht zuletzt deshalb länger als geplant, weil Siri im Darm des älteren Herrn einen fünfzehn Zentimeter langen Nagel fand. Nachdem er ihn fotografiert hatte, sann er zwei vol e Stunden darüber nach, wie der Eisenstift zum Tode hatte führen können. Schließlich stel te sich heraus, dass den Nagel keine Schuld traf. Er hatte bereits seit längerem in besagtem Körperteil gesteckt, und wie er dorthin gelangt war, würde ein ewiges Rätsel bleiben müssen. Siri hatte so schon genug Rätsel zu lösen.
Die Todesursache lautete Geschlechtsverkehr. Dem Mann hatte der Blinddarm entfernt werden sol en. Wegen Personalmangels bat man Freunde und Verwandte, bei dem Patienten zu schlafen und ihn zu pflegen.
Normalerweise nächtigten sie auf dem Fußboden, aber fraglicher Herr hatte vor kurzem erst eine junge Frau geehelicht, und ihre körperliche Nähe am Vorabend der großen Operation führte zu spontaner sexuel er Aktivität. Zwar klagte er schon kurze Zeit später über starke Kopfschmerzen, ertrug sie jedoch geduldig, bis er in den Operationssaal gefahren wurde. Da man ihn zuvor sediert hatte, konnte er den Ärzten nicht mehr mitteilen, dass er fürchterliche Schmerzen litt, und als sie ihm den Bauch aufschneiden wol ten, starb er an einem geplatzten Hirnaneurysma. Sein Gehirn war buchstäblich explodiert. Hätte Siri nicht so viel Zeit mit dem Darm verschwendet und sich stattdessen um das Hirn gekümmert, hätte er es sofort gemerkt. Aber seinen fleißigen Mitarbeitern war klar, dass Dr. Siris Gedanken um andere, wichtigere Dinge kreisten.
»Also lassen Sie sich das eine Lehre sein, Dtui. Sex kann tödlich sein.«
»So viel Glück möchte ich auch mal haben.«
Herr Geung prustete.
Während sie aufräumten, kam die Post, darunter auch das Päckchen aus Xaignabouri mit den Obduktionsbildern. Als Dtui den Bericht abtippen ging, nahm sie die Fotos mit in die Bibliothek und legte sie unter »P« ab. Aber schon fünf Minuten später war sie völ ig außer Atem wieder da.
»Doc, ein dringender Anruf aus Vietnam.«
Der Anblick von Siri und Dtui, die in die Verwaltung »rannten«, hätte selbst dem wohlwol endsten Leichtathletiktrainer Tränen der Trauer in die Augen getrieben. Während er mit pochendem Schädel treppauf stürmte, dachte Siri an den Mann in der Kühlkammer. Nach Atem ringend und mit klopfendem Herzen schnaufte er in den Hörer.
»Siri? Dr. Siri? Sind Sie das?« Siri nickte. »Siri?«
»Nguyen?«
»Du liebe Güte. Was machen Sie denn?«
»Gym…nastik. Schießen Sie… los.«
»Was? Ach so. Ich glaube, es war folgendermaßen. Ich glaube, die Männer sind nicht zu Tode gefoltert worden. Zwei von ihnen sind mit ziemlicher Sicherheit an einer Luftembolie gestorben.«
»Woran?« Siri kannte den vietnamesischen Ausdruck nicht.
»Ihnen wurde Luft injiziert.«
»Aber dafür haben wir keinerlei Anhaltspunkte gefunden.«
»Das ist es ja gerade. Nach zweiundsiebzig Stunden sind die meisten Anzeichen verschwunden. Durch Röntgen hätte man womöglich etwas feststel en können, aber erstens hatten wir keinen Apparat zur Hand, und zweitens haben wir nicht explizit danach gesucht. Jedenfal s wird sich das nur schwer beweisen lassen. Ich habe zwar so etwas wie eine Einstichspur gefunden, aber damit ist kaum noch etwas anzufangen.
Al e drei Männer weisen dasselbe kreisförmige Hämatom unter der Verbrennung auf. Ich glaube, es stammt von der Düse einer Pumpe oder einer sehr großen Spritze. Sie mussten sie wahrscheinlich regelrecht in den Muskel rammen, um das Gewebe zu durchdringen. Dazu war nicht nur ein beträchtlicher Kraftaufwand vonnöten, sondern auch erhebliches Geschick.
Ich glaube, die Strommarken dienten einzig und al ein dem Zweck, die Hämatome zu kaschieren.«
»Aber haben Sie nicht gerade gesagt, nur zwei der Männer wären an dieser, äh, Luftembolie gestorben?«
»Ja. Tran, der Fahrer, ist eindeutig an der inneren Blutung gestorben, die wir im Bereich rings um die Aorta festgestel t haben. Er war fetter als die anderen, viel eicht konnten sie deshalb keine Vene finden. Was die Blutung verursacht hat, weiß ich al erdings noch immer nicht.«
»Ich habe da so eine Vermutung. Was halten Sie von einem Sturz aus großer Höhe, zum Beispiel aus einem Flugzeug?«
»Wissen Sie schon etwas Genaueres?«
»Noch nicht, aber ich habe einen Freund gebeten zu überprüfen, ob in den vergangenen drei bis vier
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