Colin-Saga 03 - Die Erben des Imperiums
wir Harry herausgeholt haben, und du wirst einfach nicht glauben , was da gerade passiert!«
»Also, Vater.« Mit einem Klicken schob Tibold das Fernglas zusammen und schaute Stomald mit missmutigem Gesicht an. »Es sieht so aus, als wäre Seine Exzellenz nicht beeindruckt.«
Stomald nickte, legte die Hand an die Stirn und versuchte, sich seine Verzweiflung nicht anmerken zu lassen. Er hatte nicht erwartet, dass Bischof Frenaur seinen Worten ohne Fragen Glauben schenken würde, aber ganz gewiss hatte er nicht das erwartet.
Die blutroten Flaggen von Mutter Kirche kamen den gewundenen Bergpfad hinauf, blau-goldene Wimpel glitzerten, und dahinter blitzte Metall auf: Piken und Musketen, Rüstungen und die matt glänzenden Läufe schwerer Artillerie.
»Was glaubst du, wie viele das sind?«, fragte er den Gardisten leise.
»Genug.« Mit zusammengekniffenen Augen spähte der Gardist der Sonne entgegen und runzelte die Stirn. »Sogar mehr, als ich erwartet hatte. Ich würde sagen, dass ist ein Großteil der Tempelgarde von Malagor dort draußen, Vater. Schätze mal, zwanzigtausend Mann.«
Wieder nickte Stomald, dankbar, dass Tibold nicht ›Ich hab's ja gleich gesagt‹ hinzugefügt hatte. Der Kommandant der Garde hatte sich dagegen ausgesprochen, die frohe Kunde an den Tempel weiterzugeben. Im Gegensatz zu Stomald war Tibold kein geborener Malagoraner, doch er wusste, dass der Tempel Malagor als Brutstätte jeglichen Aufruhrs erachtete, und als Stomald nun sah, wie dieses bewaffnete Heer auf das Dorf zumarschierte, war er froh, dass er die Nachricht über die Semaphore überbracht hatte, und nicht persönlich.
Er vertrieb diesen Gedanken wieder und presste die Lippen aufeinander. Gewiss hatte Gott Seine Engel mit einer klaren Absicht nach Klippenend geschickt. Er hatte niemals versprochen, dass Seine Diener immer klug genug sein würden, Seine Absicht zu erkennen, doch Er hatte immer eine Absicht. Gewiss, manchmal war es keine Absicht, die für Seine Diener gefahrlos gewesen wäre … »Was rätst du?«
»Weglaufen?«, schlug Tibold lächelnd vor, und Stomald war selbst überrascht, sich leise lachen zu hören.
»Ich glaube nicht, dass Gott das gefallen würde. Abgesehen davon: Wohin würden wir denn laufen wollen? Wir stehen hier mit dem Rücken zur Wand, Tibold, zu den Bergen nämlich.«
»Genau wie ein Kinokha in der Falle«, stimmte der Kommandant der Garde zu, und er fragte sich, warum er nicht mehr Angst verspürte. Zuerst hatte er gedacht, der junge Priester sei verrückt geworden. Doch irgendetwas an dem, was Vater Stomald gesagt hatte, wirkte wider Erwarten sehr überzeugend. Gewiss, so sagte Tibold sich selbst erneut, waren das damals keine Dämonen gewesen. Er hatte mehr als genug Erfahrung dazu gesammelt, wozu Menschen, die doch immerhin von Gottes unsterblichem Geist berührt waren, in Zeiten des Krieges in der Lage waren. Nein, wären diese Eindringlinge Dämonen gewesen, so wäre Klippenend jetzt eine schwelende Ruine, die nur noch Toten Heimat böte.
Und wie Vater Stomald gab es in seiner Vorstellungskraft nur eine Sorte von Wesen, die neben Dämonen noch in Frage kam, auch wenn Tibold sich inständigst wünschte, diese Wesen wären mit ihrer Botschaft ein bisschen weniger zweideutig gewesen. Aber das war wohl seine höchsteigene Schuld. Er war derjenige gewesen, der den ersten dieser Diener Gottes angeschossen hatte. Selbst ein Engel mochte seine eigentliche Aufgabe vergessen, wenn eine Kugel in seinem Kopf steckte, und die anderen schienen mehr darauf erpicht gewesen, ihre Gefährtin zurückzuholen, als irgendwelche heilige Schriften zu verteilen.
Tibold schnaubte verächtlich. Die anderen Dörfer und Städte in der Umgebung – selbst Klippenwand, die größte Stadt auf der Shalokar-Bergkette – hatten ihre Priester ins Dorf geschickt, um sich die Trümmer anzuschauen und Vater Stomalds Bericht zu lauschen. Tibold hatte nie begriffen, wie wunderbar Stomald predigen konnte, bis er gehört hatte, wie er zu diesen Besuchern gesprochen hatte, wie er andere Dorfbewohner nach vorne rief, damit auch sie Zeugnis ablegten, wie er den Engel beschrieben hatte, der in der ›Heiligen Zunge‹ zu ihm gesprochen hatte, noch während das heilige Öl um ihren Leib herum gelodert hatte. Es war eine Schande, dass Vater Stomald nicht mit dem Kommandanten dieser Armee ein paar Worte würde wechseln können, denn alle anderen hatte er überzeugen können. Natürlich waren seine Zuhörer samt und sonders
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