Colin-Saga 03 - Die Erben des Imperiums
das sie trug. Sie hätte einen der langen, bunten Röcke tragen sollen, wie sie bei den Frauen von Malagor üblich waren, nicht Männerkleidung. Denn trotz ihrer auffallenden Größe und ihrer scheinbaren Jugend strahlte sie ein sanftes Mitgefühl aus: Man brachte ihr sofort Vertrauen entgegen.
Und dann war da noch Engel Sandy. Auch wenn Tibold bisher nur einen kurzen Eindruck von ihrem Wesen hatte erhaschen können, war er sich doch völlig sicher, dass niemand , absolut niemand sie sich in einem Rock vorstellen würde! Ihre braunen Augen blitzten mit der Entschlossenheit eines erfahrene Heerführers, ihre Worte waren stets klar und scharf, und sie umgab die energiegeladene Aura eines jagenden Seldahk.
»So wie Ihr und Engel Sandy sagt …«, erwiderte Stomald zur Antwort auf die letzte Bemerkung Erlaucht Seans, als der Engel sich mit gerunzelter Stirn vorbeugte.
»Nenn uns nicht so!«, unterbrach sie ihn. Tibold hatte genügend Jahre im Dienste der Kirche verbracht, um die Heilige Zunge wenigstens grob zu verstehen, doch er hatte noch nie einen Akzent wie den ihren gehört. Nicht, dass er etwas Vergleichbares schon einmal hätte hören müssen, um den befehlenden Ton als solchen auch zu erkennen.
Mit verblüffter Miene setze Stomald sich wieder auf seinen eigenen Stuhl, schaute erst zu Tibold hinüber, dann zu dem Engel. Seine Verwirrung war ihm deutlich anzumerken, und man hörte sie auch seiner Stimme an, als er wieder das Wort ergriff.
»Ich wollte Euch nicht beleidigen«, sagte er demütig, und der Engel biss sich auf die Lippen. Sie warf Engel Harry einen finsteren Blick zu, die ihn mit ihrem gesunden Auge jedoch gleichmütig erwiderte, fast als sei sie diejenige, die hier zu entscheiden habe, dann seufzte sie.
»Ich bin nicht beleidigt, Stomald«, wählte sie ihre Worte mit Bedacht, »aber es gibt … Gründe, warum Harry und ich wünschen, dass du auf diese Bezeichnung verzichtest.«
»Gründe?«, wiederholte Stomald zögerlich, und sie schüttelte den Kopf.
»Beizeiten wirst du sie verstehen, Stomald. Das verspreche ich dir. Aber vorerst bitte ich dich, unseren Wunsch zu respektieren!«
»Wie Ihr befeh…«, setzte Stomald an, dann stockte er und verbesserte sich: »Wie Ihr wünscht, Erlaucht Sandy!« Dann blickte er wieder zu Tibold hinüber. Der Ex-Gardist hob leicht die Schultern. Wenn es nach ihm ging, konnte jeder Engel sich nach seinem eigenen Belieben Anreden wählen. Anreden waren Schall und Rauch, und jeder Dorftrottel wusste, was Engel waren , egal wie sie genannt sein wollten !
»Wie Erlaucht Sandy sagt«, fuhr Stomald dann nach kurzem Schweigen fort, »muss der erste Schritt darin bestehen, unsere derzeitige Position zu stabilisieren. Die Waffen, die von der Garde zurückgelassen wurden, werden uns dabei behilflich sein …«, er warf einen fragenden Blick zu Tibold, der als Antwort heftig nickte, »… aber Ihr habt Recht, Erlaucht Sean. Ich bin kein Heerführer, und doch erscheint es mir, als müssten wir das Keldark-Tal so schnell wie möglich einnehmen.«
»Ganz genau«, bestätigte Erlaucht Sean mit seiner tiefen Stimme, der Akzent deutlich vernehmbar. »Es gibt viele Dinge, die Tamman und ich eure Armee lehren können, Tibold. Aber wir können nicht den ›Tempel‹ dazu bringen, stillzuhalten, während wir das tun. Wir müssen das Tal einnehmen – und die Thirgan-Schlucht, und das schnell genug, um die Garde davon abzuhalten, irgendetwas Waghalsiges zu versuchen.«
»Sehr wohl, Erlaucht Sean«, erwiderte Tibold. »Wenn En…« Er stockte und errötete. »Wenn Erlaucht Sandy und Erlaucht Harry uns Informationen über die Bewegungen des Feindes geben können, wie Ihr schildert, dann dürften wir einen gewaltigen Vorteil haben. Leider haben viel zu viele unserer Männer wenig oder gar keine Erfahrung im Kriegshandwerk. Sie brauchen einen guten, harten Drill, und diesen könnten sie bekommen, während wir uns in einer hinreichend starken Verteidigungsposition befinden. In einer solchen Position lässt uns die Garde vielleicht lang genug in Ruhe, damit dieser Drill sogar tatsächlich zu etwas führt!«
»Also gut«, bemerkte Stomald daraufhin mit fester Stimme. »Wir lassen uns leiten, von Euch und von den En… von Euch und von Erlaucht Sandy und Harry, Erlaucht Sean. Morgen Abend werden Tibold und ich Euch unserer Armee als neuen Kommandanten vorstellen, und von da an werden wir nach Euren Anweisungen handeln.«
Hohepriester Vroxhan saß hinter seinem Schreibtisch und
Weitere Kostenlose Bücher