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Collector’s Pack

Collector’s Pack

Titel: Collector’s Pack Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Giordano
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Gedanken zu akzeptieren, der sich in den vergangenen Stunden immer mehr verdichtet hatte und ihn ganz und gar zu beherrschen drohte.
    Du bist ein Monstrum.
    Erst die künstliche Hand und nun das.
    Immer noch sah er Marias Entsetzen vor sich, als er sich vor ihr und Laurenz ausgezogen hatte. Diesen Blick. Diesen einen Moment, als sie erkannte, dass er etwas geworden war, das man unmöglich lieben konnte. Ihre Bestürzung und ihre Sorge um ihn konnten ihn nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie ihn fortan nur noch mit unterdrücktem Grauen ansehen würde, selbst mit Kleidung. Denn er trug ein Kainsmal am ganzen Körper, das sich kaum verbergen ließ und das für jeden, der es einmal gesehen hatte, durch sämtliche Kleidungsschichten hindurch sichtbar bleiben würde.
    Je länger sich Peter im Spiegel betrachtete, desto mehr begann er, sich vor seinem eigenen Anblick zu ekeln. Als er die Tätowierung auf einer Flughafentoilette in Köln entdeckt und sich nach dem ersten Schock hastig wieder angezogen hatte, um kein Aufsehen zu erregen, war ihm sofort klar geworden, dass eine ferne, unbarmherzige Macht sich entschlossen hatte, ihm sein altes Leben nicht mehr zurückzugeben. Es war sogar noch weitaus schlimmer. Was für eine Macht auch immer ihm das angetan hatte, sie hatte ihn auserwählt und zu einem Werkzeug ihres monströsen Plans gemacht. Sinnlos, sich noch dagegen aufzulehnen. Vergeblich, einen Sinn darin zu suchen, falls es überhaupt einen gab. Die einzige Freiheit, die ihm noch blieb, war, sein Leben hier und jetzt zu beenden. Aber auch das wurde mit jeder Minute des Zögerns immer schwieriger.
    Peter schloss die Augen. Er zitterte, biss die Zähne zusammen, hielt den Atem an und drückte das Küchenmesser, das er vorhin heimlich mitgenommen hatte, etwas fester gegen seine Brust. Ein kleiner Blutfleck bildete sich an der Stelle, dicht über seinem Herzen.
    Akzeptiere es und tu, was du noch tun kannst. Jetzt!
    Mit einem Stöhnen riss er sich das Messer vom Körper weg und keuchte, völlig außer Atem. Schweiß tropfte von seinem Gesicht und über die feinen, vielfach verschlungenen blauen Linien auf seiner Brust, ohne sie zu verwischen.
    Maria klopfte an die Tür. »Peter? Alles in Ordnung mit dir?«
    »Ja.«
    »Es gibt Kaffee und warme Cornetti.«
    »Gib mir noch etwas Zeit, bitte.«
    »Na klar.«
    Ihre bemühte Munterkeit bedrückte ihn nur noch mehr. Hastig legte er das Messer weg und tupfte das bisschen Blut ab, wo die Klinge ihn geritzt hatte.
    Wäre doch schade, so ein Meisterwerk mit einer Narbe zu verschandeln.
    Denn das war die Tätowierung tatsächlich, nüchtern betrachtet. Ein Meisterwerk, das seinen gesamten Oberkörper bedeckte. Ein Lebewesen, das von seinen Schultern über den Rücken wuchs, zwischen seinen Achseln hindurchkroch, über seine Brust und seinen Bauch wucherte, seine Flechten weiter über seine Hüften und seinen Po ausstreckte, seinen Schambereich umrankte und schließlich wie ein feines Gespinst an seinen Oberschenkeln veräderte, wo es ohne Übergang fast zu verdunsten schien. Ein Meisterwerk. Bei jeder Veränderung des Blickwinkels schien sich die Tätowierung zu bewegen. Je länger Peter das Gewimmel aus blauen Linien, Bildern und Zeichen betrachtete, desto mehr Einzelheiten und Teilbilder erkannte er. Desto mehr verstand er auch, dass alle Teile dieses wahnsinnigen Kunstwerks irgendwie miteinander verbunden waren. Wie …
    … Nervenzellen in einem Gehirn.
    Blau war die einzige Farbe. Ein seltsames Blau, blass wie ein Schleier, der über der eigentlichen Tätowierung zu schweben schien. Wenn Peter die Augen ein wenig zukniff wirkte die ganze Zeichnung wie ein hautenges Trikot aus einem zarten, blauen Stoff. Mehr ein Gewebe als etwas Gemaltes. Es musste Monate dauern, so etwas anzufertigen, und es musste furchtbar schmerzhaft gewesen sein. Tatsächlich war sie innerhalb der fünf Tage, an die er sich nicht erinnerte, zu ihm gekommen und tat kein bisschen weh. Das Gefühl, ein dünnes Gewebe auf der Haut zu tragen, war eine reine sensorische Täuschung. Peter entdeckte nicht einmal Hautrötungen oder kleine Entzündungen. Die ganze Tätowierung sah aus, als trage er sie schon immer.
    Als gehöre sie zu dir.
    Auf den ersten Blick wirkte die Tätowierung vollkommen chaotisch und wirr. Peter musste sich sehr konzentrieren, um die feinen Details des blauen Gewimmels voneinander zu unterscheiden, da alles vielfach miteinander verbunden war und einem komplizierten, undurchschaubaren Plan

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