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Collins, Suzanne

Collins, Suzanne

Titel: Collins, Suzanne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Flammender Zorn (Die Tribute von Panem Bd 3)
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Vergangenheit konnten sie kaum mehr ausrichten
als Fliegen, die einen Honigtopf umschwirren. Doch nach den ersten beiden
Angriffswellen gegen die höheren Lagen des Berges ist ihre Aufmerksamkeit
geweckt. Und als die Flugabwehrkanonen des Kapitols in Aktion treten, ist es
bereits zu spät.
    Die Auswirkung der Lawinen übertrifft alle Erwartungen.
Beetee hatte recht damit, dass sie, einmal in Gang gesetzt, nicht mehr
aufzuhalten sein würden. Die Bergwände sind an sich schon instabil, doch jetzt,
durch die Detonationen geschwächt, scheinen sie sich fast zu verflüssigen.
Ganze Teile der Nuss brechen vor unseren Augen zusammen, alle Spuren, die
darauf hinweisen, dass dieser Ort je von Menschen betreten wurde, sind
ausgelöscht. Sprachlos stehen wir da, klein und unbedeutend, während das
Gestein in Wellen den Berg hinunterdonnert. Unter Tonnen von Fels werden die
Zugänge begraben. Eine Wolke aus Dreck und Geröll wirbelt auf und verdunkelt
den Himmel. Die Nuss hat sich in ein Grab verwandelt.
    Ich stelle mir das Inferno im Innern des Berges vor.
Heulende Sirenen. Lichter, die erst flackern, dann verlöschen. Erstickender
Staub in der Luft. Die Schreie der Eingeschlossenen, die panisch nach einem
Ausgang suchen und feststellen, dass die Zugänge, die Abschussrampe, die
Lüftungsschächte mit Erde und Steinen verstopft sind, die ins Innere drängen.
Frei schwingende Stromleitungen, Feuer. Vertraute Wege werden durch Trümmer
zum Labyrinth. Schubsende, drängelnde Menschen, die aufgescheucht umherkrabbeln
wie Ameisen, wenn der Haufen einsinkt und ihren fragilen Panzer zu zerdrücken
droht.
    »Katniss?« Ich habe Haymitchs Stimme im Ohr. Ich versuche,
ihm zu antworten, aber ich habe beide Hände fest auf den Mund gepresst.
»Katniss!«
    An dem Tag, als mein Vater starb, gingen die Sirenen während
der Mittagspause in der Schule los. Niemand wartete die Erlaubnis ab zu gehen,
und das wurde auch nicht erwartet. Nicht einmal das Kapitol konnte uns
vorschreiben, wie wir uns bei einem Minenunglück zu verhalten hatten. Ich
rannte zu Prims Klasse. Ich weiß noch, wie sie dasaß, sieben Jahre alt und
winzig, ganz blass, die Hände brav auf dem Tisch gefaltet. So wartete sie
darauf, dass ich sie abholte, wie ich es versprochen hatte, für den Fall, dass
die Sirenen je losgehen sollten. Sie sprang auf, hielt sich am Ärmel meines
Mantels fest, und dann zwängten wir uns durch die Menge der Leute, die auf die
Straßen strömten und sich am Haupteingang des Bergwerks versammelten. Wir
fanden unsere Mutter, die das Seil umklammerte, das schnell als Absperrung
gespannt worden war. Im Nachhinein denke ich, dass ich schon in diesem Moment
hätte wissen müssen, dass mit ihr etwas nicht stimmte, denn wieso sonst mussten
wir sie suchen, wo es doch umgekehrt hätte sein sollen?
    Die Förderkörbe quietschten, sausten die Kabel hoch und
runter, als sie die verrußten Bergarbeiter ans Tageslicht beförderten. Bei
jeder Gruppe gab es Schreie der Erleichterung, Angehörige tauchten unter der
Absperrung hindurch, um ihre Ehemänner, Frauen, Kinder, Eltern, Geschwister in
Empfang zu nehmen. Wir standen in der Kälte des Nachmittags, während sich der
Himmel zuzog, staubfeiner Schnee bedeckte die Erde. Die Förderkörbe bewegten
sich jetzt langsamer und spuckten nicht mehr so viele Leute aus. Ich kniete
mich hin und grub die Hände in die Schlacke, wie gern hätte ich meinen Vater
heraufgezogen. Hilfloser kann man sich wohl nicht fühlen, als wenn man jemanden
erreichen will, der unter der Erde eingesperrt ist. Die Verletzten. Die Toten.
Das Warten die ganze Nacht hindurch. Decken, die Fremde einem um die Schultern
legen. Ein Becher mit einem heißen Getränk, das man nicht trinkt. Und dann
schließlich, bei Tagesanbruch, der bekümmerte Ausdruck auf dem Gesicht des
Bergwerkleiters, der nur eines bedeuten kann.
    Was haben wir da gerade getan?
    »Katniss! Bist du da?« Haymitch lässt mir jetzt in
Gedanken wahrscheinlich schon eine Kopffessel anpassen. Ich lasse die Hände
sinken. »Ja.«
    »Geh rein. Nur für den Fall, dass das Kapitol mit seiner
verbliebenen Luftwaffe einen Gegenangriff startet.«
    »Ja«, sage ich wieder. Bis auf die Soldaten, die an die Maschinengewehre
gehen, begeben sich alle auf dem Dach nach drinnen. Auf dem Weg die Treppe
hinunter lasse ich die Finger an der makellosen weißen Marmorwand
entlanggleiten. So kalt und so schön. Selbst im Kapitol haben sie nichts, was
es mit der Pracht dieses alten Gebäudes aufnehmen

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