Colombian Powder
gelungen.«
Nina schüttelte fassungslos den Kopf. So langsam fügten sich vor ihren Augen sämtliche Teile wie bei einem Puzzle zusammen. Abstand halten … kamen ihr diese Worte nicht bekannt vor? Hatte sie nicht die gleichen erhabenen Vorsätze geschmiedet und letztendlich mit Füßen getreten?
»Leo war also gar nicht nach Caracas eingeladen worden. Alles Theater, nicht wahr?«
»Natürlich nicht. Die Show diente nur dazu sicherzustellen, dass ich der Kurier sein werde und Leo Beate weiterhin beschatten kann.«
Nina schlug die Hand vor den Mund, doch Marco redete einfach weiter. Er schien froh darüber zu sein, ihr endlich alles erzählen zu können.
»Das Ganze war Kümmlers Idee. Durch die Überwachung wussten wir ja, dass auf der Isla Margarita ein Flugzeug auf Beate warten würde. Wir mussten jedoch verhindern, dass Beate und Leo sich trennen. Deshalb machte Leo das Angebot, sie mitzunehmen.«
»Du hast mich also die ganze Zeit nur angelogen.« Ninas Stimme war nicht mehr als ein Flüstern, und ihre Augen füllten sich schon wieder mit Tränen.
Marco wandte den Blick von ihr ab und suchte nach einer Erklärung, doch Nina kam ihm zuvor. »Deine Kindheit in Venezuela, deine Wohnung in München, der Tod deiner Mutter … das war also alles nur erfunden?«
Marco holte bei diesen Worten scharf Luft. Ganz langsam stand er auf und ging zu dem winzigen Fenster hinüber, wo er mit dem Rücken zu ihr stehen blieb. Mit einem Mal war seine ganze Körperspannung verschwunden. Schneller als sie glauben konnte, war Nina auf den Beinen und presste ihr Gesicht an seinen Rücken. Ihr kam es wie eine Ewigkeit vor, bis er endlich weiter sprach.
»So weit ich durfte, habe ich dir in allen meinen persönlichen Dingen die Wahrheit gesagt. Natürlich habe ich als Kind in Venezuela gelebt, und meine Jugendjahre habe ich in München verbracht. Meine Familie lebt immer noch dort … auch meine Mutter. Sie erfreut sich zum Glück bester Gesundheit.« Marco drehte sich zu ihr um und nahm sie in die Arme. »Nina, ich habe dich nie angelogen, wenn es nicht unbedingt sein musste.«
»Aber warum hat Leo ausgerechnet die Rolle deines Vaters angenommen?«
»Warum er den Witwer gespielt hat?« Marco schnaubte. »Das war Kümmlers Idee. Er glaubte, es wäre eine gute Tarnung, Vater und Sohn gemeinsam auf Urlaub.« Sein Gesicht nahm einen resignierten Ausdruck an. »Mir ist es weiß Gott schwergefallen, dir vom Tod meiner Mutter zu erzählen.«
»Lieber Himmel, was für ein Theater.«
Marco seufzte. »Ich mache Kümmler keinen Vorwurf deswegen. Wir hatten einfach viel zu wenig Zeit, um uns eine bessere Strategie zurechtzulegen. Sein Vorschlag war es auch, dass ich meine Vergangenheit in Venezuela ins Spiel bringe. Damit hatte Leo als mein Vater einen Vorwand, um dort von Bord zu gehen.«
Plötzlich begann Marcos Handy zu klingeln. Er nickte Nina zu und verließ den Raum. Sie hörte ihn vor der Tür telefonieren, konnte aber nichts vom Gespräch verstehen.
Als er wieder hereinkam, wirkte er insgesamt entspannter als vorher.
»Hast du wirklich keinen Hunger?«, fragte er mit Blick auf die unberührte Pizza.
Nina schüttelte den Kopf. »Aber ich könnte noch einen Kaffee vertragen, glaube ich.«
»Du frierst ja«, stellte er fest, als er näher kam.
Obwohl es im Raum nicht besonders kalt war, klapperte sie mit den Zähnen. »Das sind die Nerven. Es ist alles zu viel für mich.«
»Du musst dich beruhigen, Nina. Komm mit. Mit der Einvernahme sind wir ja durch.«
»Muss ich jetzt in eine Gefängniszelle?«, fragte sie bang. Ein Wort des Hauptkommissars klang immer noch in Ninas Ohren nach. Untersuchungshaft.
Bei dem Gedanken wurde ihr augenblicklich übel, und sie hatte das Gefühl, ihre Beine würden unter ihr nachgeben.
Marco strich ihr eine Locke aus der Stirn. »Ich würde es dir so gern ersparen.«
Verzweifelt schlang sie die Arme um seinen Hals. »Bitte, lass mich nicht allein.«
»Das werde ich nicht, mach dir keine Sorgen.« Er schnaubte in Ninas Haare und drückte sie eng an sich. »Ich habe eine Idee, wo wir hingehen können. Das ist allemal besser als die Zelle.«
Nina war nur zu gern einverstanden und folgte ihm durch endlose, menschenleere Gänge zum Gefängnistrakt. Als sie an einem Fenster vorbeikamen, bemerkte sie, dass es draußen inzwischen dämmerte und in dichten Flocken schneite.
Marco sprach kurz mit dem diensthabenden Beamten und führte Nina dann in einen Raum mit Kaffeeautomaten und
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