Colombian Powder
sie schließlich, auf einen schnippischen Kommentar gefasst.
»Was?« Beate war jedoch einigermaßen sprachlos. »Diese vermoderten Steinhaufen?«
Nina nickte. In einer Buchhandlung hatte sie einen Bildband über die berühmte Pyramidenstadt der Maya durchgeblättert, und seitdem spielte sie mit dem Gedanken, an dem Landausflug dorthin teilzunehmen, wenn sie morgen Mexiko erreichten.
»Du hast ja Nerven«, stöhnte Beate. »Bei dieser Bullenhitze im Busch herumzulaufen! Und ich darf den Herrn Mediziner also den ganzen Tag alleine bei Laune halten?«
»Sieh es doch mal so, wenn dein Lungenautomat ausfällt, kann er dich gleich an Ort und Stelle fachkundig beatmen.«
Beate warf ihr einen verächtlichen Blick zu. »Er ist Zahnarzt.«
»Vielleicht hat er ja auch seinen Zollstock dabei«, grinste Nina.
Nun musste auch Beate lachen. »Dafür habe ich etwas gut bei dir. Abgemacht?«
»Abgemacht«, antwortete Nina erleichtert, ohne weiter darüber nachzudenken.
Endlich hatte sich Beate von ihrem Kleid befreit und rutschte im Bikini an den Rand des Bootes. »Was meinst du, ob es hier Haie gibt?«
Vorsichtig tauchte sie einen Fuß in das azurblaue Wasser.
»Und wenn schon, du kannst doch Mikado, oder?«, antwortete Nina träge.
Beate streckte ihr die Zunge heraus. »Du könntest wenigstens nach großen, grauen Flossen Ausschau halten, solange ich im Wasser bin.«
Während Beate prustend ins Meer eintauchte und um das Boot herum schwamm, kletterte Nina auf die Liegefläche im Heck. Solche Boote sollte es am Wannsee geben. Seufzend streckte sie sich auf der warmen Unterlage aus und ließ ihren Blick über das ruhige Wasser schweifen. Eine Hai-Flosse würde sie sofort erkennen.
Hai – das Wort war Garant dafür, schmerzhafte Erinnerungen zu wecken. Die willkommene Abwechslung der Reisevorbereitungen hatten Ninas Gedanken ausgefüllt, doch in diesem Moment brachen wieder einmal all die schrecklichen Bilder über sie herein. Das letzte Wiehern ihrer Stute, Vaters gehässige Miene, Gustavs erbärmliches Gestammel. Wann hörte der Schmerz über all das Zurückliegende endlich auf? Mit aller Macht versuchte Nina, nicht zu weinen. Durch ihre Wimpern hindurch beobachtete sie den ruhigen Ozean. Ihre vergossenen Tränen konnten sich bestimmt mit der Menge Wasser in der Bucht messen. Doch was nützte die ständige Heulerei? Was geschehen war, war geschehen. Viel schlimmer wog, dass sie nach gerade einmal sechs Monaten in Berlin zu scheitern drohte. Es durfte nicht so weit kommen, dass sie nach Hause zurückgekrochen kam und eingestehen musste, dass sie, das verwöhnte Töchterchen, sich völlig überschätzt hatte. Diesen Triumph würde sie ihrem Vater niemals gönnen! Denen würde sie es zeigen.
»Hey, du Träumsuse. Das sieht dir ja gar nicht ähnlich, den halben Nachmittag zu verpoofen.« Beate kniete sich triefnass neben sie und beschattete die Augen vor der tief stehenden Sonne. »Wenn wir nicht auf Jamaica bleiben wollen, sollten wir uns langsam auf den Weg zurück zum Schiff machen.«
Obwohl Nina nicht geschlafen hatte, war sie ganz benommen. Sich mit ihrer familiären Misere zu beschäftigen raubte ihr jedes Mal Energie. Schwerfällig richtete sie sich auf. Die Sonne wanderte dem Horizont entgegen, und auf dem Wasser war eine steife Brise aufgekommen. Schnell glitt ihr Blick zum Hafen hinüber, als ob sie sich vergewissern wollte, ob sich die Diamond Dolphin nicht schon aus dem Staub gemacht hatte.
»Wo ist eigentlich dein Rettungsschwimmer abgeblieben?«, fragte Beate, als die beiden in strammem Tempo zurück zum Strand strampelten. »Seit dem Schlamassel im Pool bist du ihm nicht mehr begegnet, oder sollte mir da gar etwas entgangen sein?«
Nina wollte gerade ansetzen, Beate von ihrer Begegnung im Fitness-Center zu erzählen, als diese schon weiter palaverte. »Hat er dir eigentlich noch mehr über sich erzählt, außer dass er mit seinem Vater unterwegs ist?«
»Eigentlich nicht. Wir haben uns auch nicht besonders lange unterhalten«, sagte Nina etwas zögerlich. Es war ja nicht schwer zu erraten, worauf Beate hinaus wollte.
»Du musst unbedingt mehr über ihn herausfinden. Wir brauchen auf jeden Fall noch eine Alternative zu Hartwig! So eine Art Plan B.«
Die beiden Frauen beeilten sich, das Boot am Strand wieder seinem Besitzer zu übergeben und hielten kurz darauf auf der Promenade nach einem Taxi Ausschau, das sie zum Hafen zurückbringen konnte. Mit den letzten Passagieren erreichten sie das
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