Colombian Powder
abwarten.
Nina schlug den Weg zurück zu dem Internet-Café ein. So konnte sie Beate auf keinen Fall verfehlen. Schließlich erreichte sie das kleine Lokal, ohne auf die Freundin getroffen zu sein. Brauchte sie tatsächlich so lange, um Ramons E-Mail zu lesen? Mit einem Blick durch die offen stehende Tür stellte Nina jedoch entsetzt fest, dass der Laden leer war.
Sie schluckte mühsam, denn ihre Kehle war ihr plötzlich eng geworden. Wo war Beate nur geblieben? Nina holte das Handy aus der Tasche und wählte hastig die Nummer der Freundin. Es dauerte lange, endlos lange, bis endlich eine Verbindung zustande kam, und dann sprach eine spanische Frauenstimme vom Tonband. Nina verstand den gehaspelten Text nicht, aber sie ahnte, dass das Funknetz überlastet war. Verdammt!
Sie ließ das Telefon sinken und sah sich unsicher um. Die einzig logische Erklärung war, dass sie Beate auf dem Weg hierher eben doch verfehlt hatte. Es war das Beste, wenn sie wieder zum Restaurant zurückkehrte. Bestimmt war Beate inzwischen dort, und wenn nicht, konnte Jens immerhin bei der Suche helfen.
Zielstrebig ging Nina ein paar Schritte die Straße hinunter, als sie ein jäher Gedanke zögern ließ. Was, wenn sich Beate freiwillig abgesetzt hatte? Vielleicht hing es mit dem Inhalt aus Ramons Mail zusammen. War sie etwa schon auf dem Weg zur Übergabe? In diesem Fall schien es nicht sehr schlau, wieder bei Jens aufzutauchen.
Schräg gegenüber dem Internet-Café lag der Eingang zur städtischen Markthalle. Davor herrschte ein dichtes Gedränge. Nina überlegte, ob sie einen Blick dort hineinwerfen sollte, entschied sich aber dagegen. Dort würde sie die Freundin sicher nicht finden.
Da Nina nichts Besseres einfiel, kehrte sie wieder in die Bodega zurück, in der sie gegessen hatten. Eilig stieg sie die Treppe zur Terrasse hinauf, nur um verdattert festzustellen, dass auch Jens nicht mehr da war. Das Geschirr von ihrem Tisch war bereits abgeräumt worden, und zwei Rucksacktouristen hatten sich dort breitgemacht. Völlig entnervt fegte sie sich eine Haarsträhne aus ihrer verschwitzten Stirn. Nun mischte sich zu ihrer Sorge auch Wut. Dieser Kerl hätte ruhig auf sie warten können.
Der Verzweiflung nahe stieg Nina die Stufen wieder hinunter und ließ sich auf einen Mauervorsprung sinken. Hier würde sie einfach sitzen bleiben und warten, basta. Die ganze Situation erinnerte sie an ihr Erlebnis in Puerto Cortes. Es behagte ihr überhaupt nicht, dass sie schon wieder völlig alleine in einer fremden Stadt herumlief. Argwöhnisch beobachtete sie das Treiben auf der Straße und dem Platz vor ihr und war froh, die Fassade des Restaurants in ihrem Rücken zu spüren.
Ohne es richtig zugeben zu wollen, in diesem Moment sehnte sie sich verzweifelt nach Marco. Nach seiner ruhigen und besonnenen Art und seinen Armen, an denen sie sich nur festzuhalten brauchte, um sich rundum beschützt zu fühlen. Ob er auch in der Stadt war? Sie hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, nach ihm Ausschau zu halten, hatte ihn am Morgen aber nirgends entdecken können. Trotzdem jagte ihr die Vorstellung, dass er plötzlich hier auftauchen könnte, einen kalten Schauer über den Rücken. Wie sollte sie sich ihm gegenüber verhalten, jetzt, da ihr Kontakt unter einem ganz anderen Stern stand? Bis zu ihrer Abreise war es nur noch ein Tag. Wenn sie Glück hatte, begegneten sie sich in dieser Zeit überhaupt nicht mehr. Warum also erleichterte sie der Gedanke nicht, dass sich der Theatervorhang bald endgültig senken würde? Dass ihr Herz sich nach einer Begegnung mit Marco sehnte – das versuchte sie zu kaschieren – auch vor sich selbst.
Unruhig spielten ihre Finger mit dem Mobiltelefon und wählten zum wiederholten Mal Beates Nummer. Noch immer plärrte es blechernes Spanisch aus dem Lautsprecher und versetzte Nina in jähe Wut. Reflexartig streckte sie die Hand aus, um das verdammte Ding auf das Pflaster zu schleudern. In diesem Moment schloss sich eine Hand um ihren Arm. Nina stieß einen markerschütternden Schrei aus, sodass die Leute in ihrer Nähe wie angewurzelt stehen blieben.
»Pssssssst! Brüll doch nicht so!«
»Meine Güte!« Ninas Knie wurden weich vor Erleichterung, als sie ihre Freundin erkannte, die wie Cáca, die Feuergöttin, mit wehendem Haar vor ihr stand. »Wo warst du bloß?«
»Das erzähle ich dir unterwegs. Los, steh schon auf! Wir haben keine Zeit zu verlieren.«
Kommissar Winter und sein Kollege waren in gebührendem Abstand stehen
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