Colombian Powder
Dunstschleier, der sich hartnäckig über dem Meer hielt. Eigentlich wäre Nina lieber mit Marco in der Kabine geblieben, aber er überredete sie zu einem letzten Cocktail in der Sky Bar. Eine Weile führten sie eine verkrampfte Unterhaltung, doch Nina spürte, dass Marco mit seinen Gedanken woanders war. Sie war ganz froh darüber, dass er sich die meiste Zeit damit begnügte, ihre Hand zu halten, denn ihr selbst stand der Sinn ebenfalls nicht nach einer angeregten Plauderei. Verzweifelt versuchte sie, sich jede verbleibende Sekunde in Marcos Nähe einzuprägen, wie ein Eichhörnchen, das im Herbst Nüsse sammelt.
Für das letzte Abendessen zog sie eine weiße Hose mit Glitzerdruck an und dazu Beates letzte Errungenschaft, ein hauchdünnes blaues Chiffon-Top. Trotzdem war Nina mit ihrem Spiegelbild nicht zufrieden. Sie versuchte, sich mit Marcos Augen zu betrachten. Wie behielt er sie wohl in Erinnerung? Würde er überhaupt noch einen Gedanken an sie verschwenden, sobald sie sich verabschiedet hatten?
»Nina!« Jens erhob sich aus einem der Korbsessel im Atrium. Er schien auf sie gewartet zu haben.
»Wow«, entfuhr es ihm. »Der Urlaub ist dir fabelhaft bekommen!« Er musterte sie von oben bis unten. »Oder ist es die Liebe, die schön macht?«
Nina schenkte ihm ein angestrengtes Lächeln und ballte die Faust. Sie hatte nicht vor, einen längeren Plausch zu halten, während Marco im Restaurant vielleicht auf sie wartete.
Jens sah ihr prüfend in die Augen. »Du hast dir den Typen also doch geangelt.«
Nina zog es vor, auf diese dreiste Frage lediglich zu nicken und rückte unübersehbar ihre Armbanduhr zurecht.
»Schön für dich. Aber denk dran, dass nicht immer alles so ist, wie es scheint.«
»Was meinst du damit?« Die Frage kam barscher als beabsichtigt. Von vagen Andeutungen hielt Nina im Allgemeinen wenig.
Statt einer Antwort zog Jens einen verschlossenen Briefumschlag aus der Tasche und wirkte mit einem Mal ziemlich verlegen. »Würdest du Beate diesen Brief von mir geben?«
»Wenn du mir versprichst, dass keine Briefbombe drin ist?«
»Du kannst ihn ja durchleuchten lassen«, erwiderte Jens scherzhaft und zeigte zur Eingangsschleuse hinüber.
»Schon in Ordnung. Ich werde ihn Beate geben, versprochen.« Offenbar hatte ihre Freundin bei Jens einen stärkeren Eindruck hinterlassen als vermutet. Auch wenn sich Beate über den Inhalt mit Sicherheit scheckiglachen würde, wollte Nina ihm diesen Gefallen tun. Was wusste sie schon, vielleicht trug er sich mit ähnlich schmerzvollen Gefühlen wie sie selbst?
»Tja, dann …« Nina konnte ihre Ungeduld kaum mehr verbergen.
»Vielen Dank, dass du den Hermes spielst.«
»Wen?«
»Hermes. Der Götterbote in der griechischen Mythologie.«
In diesem Moment öffneten sich die Lifttüren, und Marco betrat das Atrium.
»Wo wir gerade von Göttern sprechen«, murmelte Jens kaum hörbar und folgte Ninas verklärtem Blick.
Nina wollte sich von Jens verabschieden, doch er begnügte sich mit einem kurzen Kopfnicken. Im Weggehen bedachte er Marco mit einem seltsamen Blick, der Nina irritierte.
Auf ihrem Tisch stand bereits ein Eisbehälter mit einer Flasche Champagner.
»Alle Achtung«, sagte Nina und studierte das Etikett, »Blanc de Noirs.«
Sie hatte diesen teuren Rebensaft erst ein einziges Mal getrunken, ausgerechnet in Gesellschaft von Ramon, dessen Gesicht sie sofort wieder aus ihrem Kopf verbannte. »Ich glaube nicht, dass das ein Abschiedsgeschenk des Managements ist.«
»Nein, dazu fehlen uns die berühmten drei Buchstaben«, erwiderte Marco und wartete, bis der Kellner die Gläser gefüllt hatte. »Das ist mein Abschiedsgeschenk für dich.«
Bei diesem Wort hätte sich Nina am liebsten die Ohren zugehalten.
»Auf diese traumhafte Reise«, sagte er feierlich und ließ sein Glas gegen ihres klingen. »Und darauf, dass ich dich kennenlernen durfte.«
Nina war, als würde der Boden unter ihr schwanken. Zum Glück saß sie bereits, denn ihre Knie fühlten sich unter seinen Blicken an wie Wackelpudding. Zum Anlass des letzten Abends auf See wurde ein üppiges Gala-Dinner serviert. Obwohl Nina schon nach der Suppe satt war, störten sie die fünf weiteren Gänge überhaupt nicht. Sie fühlte sich warm und schwer, aß ab und zu einen Happen und war vollkommen zufrieden damit, Marco einfach nur anzuschauen.
»Am besten gibst du mir jetzt Beates Koffer«, murmelte Marco an ihrem Ohr, als sie nach dem Essen eng umschlungen durch die Halle
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