Colorado Saga
blühenden jungen Stadt, vom allzu rauhen Pioniergeist bereits gesäubert; dem Auszug der Huren war der Einzug der Kirchen gefolgt.
Im Bahnhotel warteten sie auf die Pferde, auf denen sie zu einer Inspektion von Line Camp Vier reiten würden, und vertrieben sich die Wartezeit damit, Cheyenne zu besichtigen, wo sie mehrere höchst anziehende Engländer kennenlernten, die in den Westen gekommen waren, um hier ihr Glück zu machen. An einem strahlenden Morgen griff sie plötzlich nach Seccombes Hand und rief: »Oh, Oliver, ich wünschte, ich könnte immer hierbleiben«, und erwartete, daß er antworten würde: »Du kannst, wenn du willst.« Aber er schwieg.
Es folgten herrliche Tage, an denen sie englische Rancher besuchten, die begeistert erzählten, wie leicht ihnen die Millionen in die Taschen flossen. »Es ist einfach phantastisch«, rief ein junger Mann namens Tredinnick. »Wirklich, Charlotte, Sie brauchen nichts anderes zu tun, als die Rinder auf die Weide führen, und die Bullen kümmern sich um die Kühe, und die Kühe kümmern sich um die Kälber, und jedes Jahr stecken Sie den Zuwachs in einen großen Güterzug, schicken die Tiere nach Chicago und streichen das Geld ein. Es fließt einem nur so zu.«
»Haben Sie schon so eine Ladung in den Osten geschickt?« fragte Buckland.
»Ich noch nicht, aber Harry hat das schon gemacht.« Sie unterhielten sich mit Harry, einem jungen Mann aus Leeds, der bereits Viehtransporte nach Osten verfrachtet hatte. »Der Profit wirft einen um. Heuer werden die Preise natürlich nicht so enorm sein, wegen der Krise. Aber trotzdem, in diesem Geschäft kann man sich vor dem Geld einfach nicht retten.« Diese jungen Draufgänger aus England hatten sich nicht etwa aufgedrängt; sie saßen hier in Colorado und Wyoming, weil die Amerikaner nicht genügend Geld hatten, um ihr eigenes Land in die Höhe zu bringen. Der Westen brauchte ausländisches Kapital, daher sah man es gern, wenn die Engländer das viele Geld, das sie durch den Handel in ihrem riesigen Empire gescheffelt hatten, hier investierten, und Charlotte war immer wieder überrascht, mit wieviel Einfallsreichtum sie dabei zu Werke gingen. Besonders stolz war sie auf Oliver Seccombe.
Vielleicht fürchtete er sich davor, ein so viel jüngeres Mädchen zur Frau zu nehmen, daher streute sie des öfteren feinsinnige, manchmal sogar auch recht offenherzige Bemerkungen ein, aus denen hervorgehen sollte, daß sie sich nichts aus dem Altersunterschied machte. Als sie einmal Freddy Tredinnicks Herde besichtigten, sagte sie: »Ich sehe, daß die guten Rancher ihre Herde mit jungen Kühen und erfahrenen Bullen besetzen.« Als sie das gesagt hatte, wurde sie rot.
»Ich bin kein erfahrener Bulle«, parierte Seccombe, »ich bin einfach ein alter Bulle.«
Auf diese Art neckte sie ihn ein paar Tage lang, immer in dem Glauben, daß nur ihre Jugend es war, die ihn zurückhielt. Irrtümlicherweise nahm sie an, daß er fürchtete, einer so jungen Partnerin sexuell nicht gewachsen zu sein, und schloß daraus, daß sie die Lösung des Problems in die Hand nehmen mußte. Als an ihrem letzten Abend im Bahnhotel die schwarzen Diener die Tür geschlossen hatten und Henry Buckland mit vollem Magen ins Bett geplumpst war, sagte sie Seccombe gute Nacht, und beide gingen auf ihre Zimmer. Sie zog ihr Nachthemd an, wartete, bis auf den Gängen alles ruhig war, schlüpfte dann zu Seccombes Tür und klinkte sie leise auf. Ihre Silhouette hob sich dunkel vor dem Ganglicht ab. Als sie hörte, wie Seccombe im Bett nach Luft schnappte, eilte sie zu ihm hin und sagte: »Es ist nichts dabei, Oliver, wenn man verliebt ist.«
Am nächsten Tag ritten beide zu Line Camp Vier, und Seccombe konnte nicht anders, er mußte sich selber zu einer solchen Eroberung beglückwünschen. Charlotte Buckland war nicht nur wohlhabend, geistreich und schön, sie hatte auch die besten Verbindungen zur Familie Venneford, und obendrein liebte sie den Westen. Als sie das Lager mit den Piniennußbäumen und den verwitterten Felsen erblickte, rief sie: »Das ist das Colorado, von dem ich immer geträumt habe!« - worauf Seccombe trocken bemerkte: »Wir sind noch in Wyoming.«
Diese unfreundliche Antwort kam aus dem tiefen Mißtrauen, das er gegenüber einer dauernden
Verbindung mit diesem reizvollen Mädchen empfand. Sie irrte sich, wenn sie glaubte, es ginge ihm um den Altersunterschied. Sie hielt ihn für achtundvierzig, aber in Wirklichkeit war er fünfundfünfzig. Er wußte,
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