Colorado Saga
daß seine Vitalität nicht gelitten hatte. Wenn sie eine Gelegenheit fand, um in der Scheune oder unter den Piniennußbäumen mit ihm allein zu sein - und sie fand mehrere solcher Gelegenheiten -, dann zeigte sich immer wieder, wie gut sie zusammenpaßten.
»Du läßt dir Zeit, Oliver«, sagte sie an einem Nachmittag, als sie von der Scheune zurückkamen. »Ich würde gern hier leben und wissen, daß wir jeden Sommer hierherkommen können.«
»Ich bin zu alt«, sagte er, obwohl er ihr gerade das Gegenteil bewiesen hatte.
Was ihn zurückhielt, war nicht das Alter, sondern die vernünftige Überzeugung, daß eine allzu enge Verbindung mit den Bucklands für ihn ins Auge gehen konnte. Es war weniger die Tochter, die ihm Sorgen bereitete, als Henry Buckland, denn dieser mit allen Wassern gewaschene Kaufmann hatte bereits angefangen, Fragen zu stellen, die die Verwalter der Venneford Ranch nicht beantworten konnten.
Um die Investoren in Bristol bei guter Laune zu halten, hatte Seccombe bereits seit mehreren Jahren Bardividenden ausgeschüttet, ohne daß die Ranch sie erwirtschaftet hatte. Im Jahre 1872 zum Beispiel hatte er volle acht Prozent ausgezahlt; das Geld für diese Ausschüttung stammte aus einem Handel mit L. D. Kane in Wyoming, dem er 6626 ausgewachsene Langhörner abgekauft, 2493 davon jedoch sofort wieder an die Schlachthäuser in Chicago weiterverkauft hatte. Den Verkauf trug er in seine Bücher als Gewinn ein, als hätte es sich um 2493 auf der Ranch gezüchtete Kälber gehandelt. Auch der Erwerb von Land war nicht immer auf ganz saubere Weise vonstatten gegangen, und er wollte nicht, daß diese Dinge in den Büchern festgehalten wurden, wie zum Beispiel die Reisekosten für die Homesteader aus Illinois. Oliver Seccombe hatte Geld der Venneford Ranch durchaus nicht in seine eigene Tasche abgezweigt, aber vieles davon war in Kanäle geflossen, die besser nicht das Licht der Öffentlichkeit erblickten.
Buckland, der Seccombe gegenüber immer mißtrauischer wurde, fing vorsichtig an, unter den Leuten auf der Ranch Erkundigungen einzuziehen.
Zum zweiten Mal seit seiner Anstellung als Geschäftsführer der Ranch stand John Skimmerhorn vor einem moralischen Problem. Das erste Mal war gewesen, als er Potato Brumbauch die Killer von seiner Farm vertreiben half. Diesmal ging es um den Begriff der »Buchzählung«.
Mr. Buckland deutete auf einen Geschäftsbericht, in dem die Rinderkäufe von L. D. Kane in Wyoming verzeichnet standen. »Elftausend Stück. Da geht es um eine ganz schöne Summe Geld. Ich nehme an, Sie haben die Tiere bei der Übernahme gezählt.« Skimmerhorn lächelte nervös. »Sehen Sie, Sir, das ist das, was wir Buchzählung nennen.«
»Wenn man zählt, dann zählt man.«
»Aber wenn man in solchen Mengen einkauft... Kane hat seine Tiere schließlich nicht in einer Pferch stehen gehabt.«
»Wo waren sie?«
»Buchzählung heißt, daß es soundsoviel Stück Rinder geben soll und daß sie irgendwo sein müssen.« »Großer Gott!«
»Sie haben es mit anständigen Männern zu tun. Wenn Kane sagt, er hat...«
»Nicht vom angesehensten Seidenhändler in Indien würde ich eine solche Angabe ungeprüft hinnehmen. Wenn er sagt, er sendet mir dreihundert Ballen... « »Rinder sind keine Seidenballen«, unterbrach ihn Skimmerhorn.
»Langsam habe ich den Eindruck, sie sind überhaupt unsichtbar.«
Was Skimmerhorn Buckland allerdings nicht sagte -daher das moralische Problem -, war, daß sowohl er als auch Jim Lloyd die verschiedenen Buchzählungen der Ranch immer mit größtem Mißtrauen betrachtet hatten. In Finlay Perkins Unterlagen stand, daß die Ranch über zweiundvierzigtausend Stück Vieh erworben hatte; Skimmerhorn zweifelte allerdings, daß tatsächlich mehr als fünfundzwanzigtausend existierten. An die Art und Weise, wie Seccombe Dividenden zahlte, wollte er lieber gar nicht denken. Skimmerhorn hielt Seccombe nicht für unehrlich, wenn der Engländer auch manches tat, was besser nicht unter die Leute kam. Aber er war eben ein Mann der großen Ideen und kühnen Einfälle, der so tat, als besäße er zweiundvierzigtausend Stück Vieh, während er in Wirklichkeit nur fünfundzwanzigtausend hatte. Und Finlay Perkin zählte in seinem kleinen Büro in Bristol jedes Jahr die Kälber dazu, die nach Seccombes Schätzung geboren wurden, und die so errechnete Summe wich immer stärker von der Wirklichkeit ab. Eines Tages mußte die Blase platzen. Und zwar nach Meinung Skimmerhorns dann, wenn die
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