Colorado Saga
jenseits der Berge heranzuführen. Die Zeitungen in Denver griffen Brumbauchs heroisches Zukunftsbild einer neuen Landwirtschaft auf dem Flachland auf, zögerten aber nicht, seine Theorie zu zerpflücken, und fügten gelehrte Abhandlungen hinzu, die beweisen sollten, daß das Ganze nicht funktionieren würde. Als schwerwiegendstes Argument führten sie an, daß die Berge wasserdurchlässig waren, wie jeder Bergmann zu seinem Leidwesen erfahren mußte, wenn sich das kühle Naß in seiner Grube sammelte. Das bedeutete, daß das Wasser wohl vom Westen her in den Tunnel geleitet werden konnte, jedoch versickern würde, bevor es den östlichen Tunnelausgang erreichte. Als Jim Brumbauch diesen ungünstigen Bericht vorlas, machte Brumbauch nur eine wischende Bewegung mit seiner rechten Hand, so als ob er gar nicht weiter darauf eingehen wollte, doch als Jim lachte, setzte der alte Mann seine wischende Bewegung nur noch heftiger fort, und schließlich begriff Jim: »Wo es Löcher im Berg gibt, ausbetonieren.«
So hielt der hartnäckige Russe in den letzten Tagen seines Lebens den Blick fest auf die Berge gerichtet. Er war in all den Jahren schon auf viele mächtige Gegner gestoßen. Kosaken, Landdiebe, die Pettis-Bande, die schrecklichen Jahre mit nur zwölf Zentimeter Niederschlag, die Gouverneure von Wyoming und Nebraska - und jetzt die Berge. Es war möglich, sie zu unterwerfen. Das Wasser, das sie dem Platte vorenthielten, konnte ihnen mit einem Tunnel entrissen werden.
Und während er seine Blicke über ihre majestätischen Gipfel schweifen ließ, empfand ei jenes Gefühl, das den meisten Kämpfern vertraut ist. Es machte ihm Freude, einen würdigen Gegner vor sich zu wissen. Er hatte den Eindruck, daß es den großen Granitmassen, die ihre Köpfe in die Wolken steckten, angenehm sein würde, wenn es ihm gelänge, sie zu durchstoßen und seinem Willen untertan zu machen.
Doch als er eines Tages Ende August im Abendsonnenschein saß und sich selbst dazu beglückwünschte, daß es ihm endlich gelungen war, das Problem des Platte River zu lösen, entdeckte er, daß er den wesentlichsten Punkt übersehen hatte. Der Fluß war Teil eines Systems, das sich grundlegend von dem unterschied, das er sich vorgestellt hatte, und um zu begreifen, wie dieses System funktionierte, bedurfte es einer völlig neuen geistigen Konstruktion. Er machte diese erschütternde Entdeckung, während er gerade über eine Zeile aus einem Gedicht nachdachte, das ein Geistlicher vor einigen Jahren bei einem Begräbnis zitiert hatte: »Der Fluß, so müde er auch sei, er findet allemal den Weg zur See.« Es war als Trost gemeint gewesen, als Erinnerung daran, daß auch das schmerzgeplagteste Leben am Ende Erlösung findet. Das Bild hatte Brumbauch zugesagt. Er hatte sich selbst als jenen Teil des Platte gesehen, der benötigt worden war, sein Land zu durchfließen, seine Felder zu bewässern und sich neuerlich mit dem Fluß zu vereinen - der in den Missouri mündete, der in den Mississippi mündete, der sich in den Golf von Mexiko ergoß.
»Unsinn!« stieß er mühsam hervor. So war es doch gar nicht. Weder der Dichter noch der Geistliche hatten auch nur eine blasse Ahnung, wie sich die Dinge in Wirklichkeit verhielten.
Wie geht es denn nun in Wirklichkeit zu? fragte er sich. Ein wandernder Wassertropfen wird aus dem Pazifischen Ozean in eine Wolke gesogen, die Wolke steigt auf, und das Wasser gefriert zu einer Schneeflocke. Die Wolke wandert nach Osten, weg vom Ozean, quer über Kalifornien, und wenn sie die Rockies erreicht, halten deren hohen Gipfel sie fest, und die Schneeflocke fällt auf einen Hang, wo sie schmilzt und wieder als Tropfen in den Poudre und dann in den Platte fließt. Ich verwende den Tropfen für meine Bewässerung, und dann kehrt er in den Platte zurück, gelangt in den Mississippi und mit diesem in den Atlantik. Irgendwo an der Südspitze von Südamerika gleichen die zwei Ozeane ihre Wassermengen aus, und mein Wassertropfen kehrt in den Pazifik zurück. Dort steigt er zu einer anderen Wolke auf, gefriert abermals zu einer Schneeflocke und fließt neuerlich in den Poudre. Und das geht immer so weiter. Es gibt keine Rast, nicht für den Fluß und nicht für den Menschen. Der Mensch hat nur das Recht auf so viel Wasser, als er sich aus diesem endlosen Kreislauf leihen kann. Und wenn er seinen Kampf mit dem Fluß beendet hat, legt er sich nicht zur ewigen Ruhe nieder. Sein Körper wird zu jenem Staub, auf den die nächste
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