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Colorado Saga

Titel: Colorado Saga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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unglücklich durch ihre Reihen trottete, weder Bedauern noch Genugtuung. Er war besiegt worden und damit basta. Als Herrscher der Herde war er erledigt; jetzt mußte er mit sich selber ins reine kommen.
    Das war nicht leicht. Den ganzen Sommer hindurch hielt er sich abseits, ungefähr eine Viertelmeile vom Rand der Herde entfernt. Während des Herbstes irrte er wie verloren umher und ließ sich nicht einmal von der Erregung beim Zusammentreffen der Herde anstecken. Ein- oder zweimal sah er den schönen, neuen Sieger, doch diesmal zogen die beiden nicht nebeneinander her, und bei der Wanderung ins Winterquartier ignorierte ihn sogar die Leitkuh.
    Der Winter war eine anstrengende Zeit. Als Schnee alle Prärien bedeckte und eisige Winde mit Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt vom Westen her, von den Bergen, über die Ebene fegten, blieb Rufus allein, reckte den behaarten Kopf in den Sturm und wartete verbissen, bis der Blizzard vorüber war. Danach stellte sich ihm das Problem der Nahrungssuche; also steckte er den massigen Kopf in den Schnee, bohrte sich, tiefer und tiefer, mit rhythmisch seitlich schwingenden Bewegungen ein Loch und hielt erst inne, als das gefrorene Gras unter der Schneedecke bloßlag. Dann graste er, und wenn die erste Stelle kahlgefressen war, wiederholte er die Prozedur an einer anderen.
    So überlebte er. Eines Nachts verfolgten ihn Wölfe, und einmal wagten sie sogar einen Angriff, aber er war zu stark für sie. Einen nach dem anderen, ganz in gewohnter Manier, zerfetzte er sie mit seinen Hörnern, sobald sie in seine Nähe kamen. Einen Wolf nahm er auf seine Hornspitze, warf    ihn    zu Boden und
    zertrampelte ihn zu Brei, jeden einzelnen Tritt seiner immer noch kraftvollen Hufe genießend. Von da an ließen ihn die Wölfe in Ruhe. Obwohl er - freiwillig -zum Ausgestoßenen geworden war, eine Beute der Wölfe war er noch lange nicht.
    In diesem Jahr hatte es besonders viel geschneit; in den Bergen lag der Schnee zuweilen bis dreizehn Meter hoch. Als dann der Frühling nahte und heiße Sonnentage brachte, kam    die    Schneeschmelze
    plötzlich und mit verheerender    Gewalt. Riesige
    Wassermassen bildeten sich, die irgendwie einen Weg in die Ebene finden mußten, also wurden Rinnsale zu Bächen, Bäche zu Flüssen, und der South Platte brauste wie eine mächtige Flutwelle daher.
    Die Leitkuh, die die Katastrophe instinktiv vorausgeahnt hatte, behielt    ihre    Herde bei den
    Zwillingssäulen, weil dort der Grund höher war als die Umgebung. Da Rufus sich aber nicht mehr als Mitglied der Herde betrachtete und nach Belieben frei umherstreifte, wählte er lieber den Landstreifen neben dem Fluß, wo das Eis dick war und das Gras innerhalb der nächsten paar Wochen saftig sein würde. Darum war er auch nicht darauf vorbereitet, daß sein Refugium plötzlich auf allen Seiten von Wasser umgeben war. Er zögerte, sich auf höheren Grund zu begeben, weil er vermutete, das Wasser würde wieder sinken. Statt dessen jedoch stieg es weiter an.
    Nun traf die Hauptmasse des Schmelzwassers auf den South Platte, überschwemmte das Land noch höher, und Rufus saß in der Falle. Rings um ihn her türmten sich losgebrochene Eisschollen auf, bis er schließlich einsah, daß er verloren war, wenn er länger blieb. Also marschierte er in Richtung auf ein Stück Land, das seiner Erinnerung nach höher lag, aber auch dorthin war das Wasser gekommen, und riesige Eisblöcke schoben sich an den Pappeln empor.
    Da der Fluchtweg endgültig versperrt war, entschloß sich Rufus, sein Glück am Südufer zu probieren, doch das bedeutete, daß er den Fluß überqueren mußte. Bevor er sich ins Wasser wagte, sah er sich suchend nach allen Seiten um, als erwarte er, daß die Leitkuh ihm Anweisungen erteilte. Aber es gab nirgends eine Leitkuh, und so warf er sich mutig in den reißenden Strom. Die tosenden Wasser trugen ihn mit, während er unter kraftvollen Schwimmbewegungen das andere Ufer zu erreichen suchte, das wegen der Überschwemmung inzwischen Meilen entfernt war. Angestrengt arbeitete er mit den Beinen; hätte es sich um einen normalen Fluß gehandelt, er hätte es leicht geschafft. Aber auch so war er überzeugt davon, daß er das Südufer erreichen werde, und schwamm unverdrossen weiter. Dabei kam er nicht ein einziges Mal auf die Idee, daß es der kleine, schwarze Bulle war - derjenige, den er gerettet und großgezogen hatte -, dem er seinen Ausschluß aus der Herde verdankte. Er wußte

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