Coltan
weiter, bis sie wieder
irgendwem irgendwo ein Dorn im Auge waren. Schlussendlich kam der Tross wieder
in der Kurfürstenstraße an und alles begann von vorn. Ein Konzept für die
Kinder hatte niemand, aber wenn man sie schon nicht von der Straße holen
konnte, dann wollte man ihnen wenigstens nicht dauernd begegnen.
Plötzlich brach sie wenige Meter vor mir
zusammen. Ich rannte über den Platz, hob sie auf und fuhr mit Blaulicht in die
nächste Notaufnahme. Kein Name, keine Papiere, nichts.
Sie hatte irgendeinen Cocktail geschluckt, um
die Familienväter zu ertragen, die an ihre pubertierenden Töchter dachten, wenn
sie ihr den Schwanz in den Mund rammten und für „ohne Gummi“ noch was drauflegten.
Lily hatte das Gewicht einer Zwölfjährigen. Am
nächsten Morgen war sie aus dem Krankenhaus verschwunden.
23
Mader saß im Yoga-Sitz auf dem kleinen Balkon.
Über ihr dröhnte ein Flugzeug. Ferienzeit, am frühen Abend machten sich die
Maschinen in kurzem Abstand auf den Weg. Noch einige Jahre, dann würde Ruhe in
ihrem Viertel einziehen, der neue Großflughafen bedeutete das „Aus“ für Tegel. Dann
würde das versprechen des Maklers Wirklichkeit, ruhige Seitenstraßenlage in
Pankow mit dem Stadtpark um die Ecke. Vierzehn Tage nach ihrem Einzug hatte sie
die Flugpläne studiert und mit dem angebotenen Besichtigungstermin verglichen.
Den Besuch bei der Mieterberatung hätte sie sich sparen können. Sie erntete nur
ein mitleidiges Lächeln: „Ah, neu zugezogen? Woher kommen sie?“
„Aus Berlin!“
„Aber da müssen Sie Pankow doch kennen?“
Sie überlegte einen Moment, was hätte sie aus
Lichtenberg nach Pankow treiben sollen in all den Jahren? Stadtbesichtigung? Wo
kam der Mann her? In dieser Stadt bleibt man in seinem Kiez. Pankow, warum
sollte sie quer durch die Stadt fahren, um Pankow kennenzulernen. Ihre Mutter
war in einer Mietskaserne in Schöneweide aufgewachsen und 1963 in die
Weitlingsstraße gezogen. Wenn sie mal wegging, dann an den Alex. Das war´s auch
schon. Das war Berlin, eine Ansammlung von Dörfern, deren Ureinwohner den
größten Teil ihres Lebens auf 20 Quadratkilometern verbrachten.
Mader betrachtete ihren linken Fuß, der auf dem
rechten Oberschenkel lag, dann zog sie rechten Fuß auf den linken Schenkel.
Einatmen, ausatmen.
Nach dem ersten mit einer Eisenstange zertrümmerten
Gesicht konnte sie tagelang nicht schlafen. Sie gab sich eine Woche Zeit, doch
nichts änderte sich. Also setzte sie sich an ihren Sekretär, ein Erbstück ihrer
Großmutter, der neben dem braunen Ledersofa und einem Lehnsessel im Wohnzimmer
stand, und machte eine Pro-und-Contra-Liste. Danach entschied sie, einen
Therapeuten zu konsultieren - privat. In der Behörde blieb nichts verborgen. Sie
bestimmte den Ablauf und nach drei Sitzungen kamen sie gemeinsam zu dem
Ergebnis, sie solle es zunächst mit Entspannungsübungen versuchen, um wieder
klar denken zu können. Die Alternative hieß Aufgeben , ein Wort, das sie
nicht in ihren Wortschatz aufzunehmen bereit war, noch nicht.
Sie hatte zuviel Zeit in diesen Männerberuf
investiert, sich zuviel verboten, um ihren Lebensplan umzusetzen, um jetzt
aufzugeben. Mader wechselte in den Kopfstand.
Gallert! Sie mochte seine zuweilen zynische
Art, seine Kargheit. Auch wenn sie ahnte, dass er auf einem schmalem Grat
wandelte. Was war in ihn gefahren? Er benahm sich wie ein Idiot. Nein, sie
hatte nicht die Absicht, ihn als Sozia auf seiner Fahrt gegen die Wand zu begleiten.
Schade nur, dass die Beifahrertür verriegelt war. Zum ersten Mal seit Jahren
wünschte sie sich jemanden, dem sie vertrauen, mit dem sie reden konnte.
Dann war da noch Schneiderhannes? Wenn es so
etwas wie Männerfreundschaften gab, dann zwischen Gallert und ihm. Sie zog die
Beine an und ging wieder in die Hocke. Das Handy lag wie immer griffbereit vor
ihr. Schneiderhannes nahm beim zweiten Klingeln ab und hörte wortlos zu, bis er
sie unterbrach: „Sie kommen jetzt rüber. Bin noch beim Knochensägen.“ Dann
legte er auf.
24
„Nein, ich glaub das nicht, ich will einfach
nicht.“
Schneiderhannes lehnte sich in seinem Sessel
zurück. „Instinkt?“
„Ich weiß nicht. Irgendetwas, er ist anders.“
Mader stand vor dem Fenster und massierte sich die Hände.
„Zuerst dachte ich, er hat wieder einen
schlechten Morgen. Kommt vor, immer wieder. Aber, als er zum Fundort kam und den
Fuß sah, da kniete er sich hin, schwieg. Ich schlag die Decke zurück und er? Plötzlich
streicht er ihr eine
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