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Coltan

Coltan

Titel: Coltan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivo Andress
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Haarsträhne aus dem Gesicht. Vorsichtig, als wollte er sie
nicht wecken. Er hat noch nie eine Leiche ohne Handschuhe berührt.“
    Schneiderhannes legte sein Kinn auf die
verschränkten Hände: „Gut, er hat sie also gekannt. Und was soll ich jetzt
machen?“
    „Sie kennen ihn. Mit wem hätte ich sonst reden
können. Ihnen vertraut er. Und ich auch.“ Sie schaute aus dem Fenster auf die
Backsteingebäude des Campus.
    „Und jetzt?“
    „Soll ich ihn fragen?“
    Schneiderhannes wiegte den Kopf.
    „So kommen wir jedenfalls nicht weiter. Er
hockt da, dirigiert ein wenig und wartet, dass mir was einfällt. Und wenn ich
eine neue Idee habe, die vielleicht weiterhilft, dann mimt er den Skeptiker. Gallert
hat Angst, den Fall zu verlieren.“
    „Merkwürdiger Zufall. Und er hat überhaupt
nichts angedeutet, all die Tage?“
    „Nichts. Sie kennen ihn doch. Zugeknöpft und
kalt wie eine Auster. Und sein Privatleben? Das Einzige, was ich sicher weiß,
ist, dass er eins haben muss. Zumindest hatte. Ist schon eine Weile her. Er konnte
ja nicht ahnen, dass er morgens um drei in einem sündhaft teuren Club auf seine
schlecht bezahlte Kollegin trifft. Aber er war viel zu beschäftigt, um mich zu
sehen. Zufall eben.“
    „Und dann liegt sie da und er streichelt sie …“
    Mader nickte: „Sie saßen sich damals gegenüber
und er strich ihr genauso mit den Fingerspitzen eine Haarsträhne aus dem
Gesicht. Also, was soll ich jetzt machen?“
    Schneiderhannes dachte nach. „Stellen Sie ihn
zur Rede. Schluss mit dem Versteckspiel.“ Er stand auf und griff nach seinem Kittel:
„Jonathan wird alles abstreiten, rumschnauzen und Ihnen ewig dankbar sein.“

25
    Natürlich hätte ich fragen können, fragen müssen.
Sie war völlig aufgelöst, als sie plötzlich in meinem kleinen Flur stand, riss
sich die Perücke vom Kopf und warf sie in die Ecke, ging dann wortlos zum Kühlschrank
und goss sich ein großes Glas Martini ein.
    „Kannst Du Dir vorstellen, dass ein paar
Sekunden Dein ganzes Leben verändern?“
    Jetzt endlich sah sie mich an. Fragend, wütend,
erschöpft. Ich stand hilflos vor ihr, unsicher, ob ich sie einfach in die Arme
nehmen sollte, wartete auf eine Erklärung, ein Zeichen, eine Antwort auf die
Frage, was ich denn jetzt tun solle. Warten war eine meiner Stärken. Ich konnte
stundenlang, tagelang warten. Also warte ich, doch Lily verschwand nach keiner
halben Minute im Bad.
    Zuviel Nähe, zuviel Angst. Ich hab sie in ihr
Unglück rennen lassen, wollte nicht wissen. Wir haben nie darüber gesprochen,
nichts verabredet, aber es gab diese stille Übereinkunft. Also schwieg ich und wartete,
hoffte, sie würde irgendwann von selbst zu mir kommen. Jetzt hängt ihr Bild über
meinem Schreibtisch und das Zimmer ist so leer wie all die Jahre zuvor. Sie
blickt mir direkt in die Augen, im Hintergrund das Meer vor Ibiza. 14 Tage Urlaub,
vor zwei Jahren. Wir hatten es gut miteinander.
    Glockenspiel - bing – bang - bong. Ich stutzte
einen Moment, bis ich mich erinnerte, dass es sich um meine Klingel handelte.
Lily war die Einzige, die sie in der letzten Zeit betätigt hatte, bis ich ihr
einen Schlüssel gab. Aber Lily war tot. Ich erwartete niemanden. Mein letzter
regelmäßiger Besucher war schon vor Jahren verstorben, der Hausmeister.
    Ein Irrtum, jemand hatte die falsche
Klingeltaste gedrückt. Dann noch einmal. Gerade wollte ich über die
Balkonbrüstung spähen, als auch noch das Handy zu summen begann.
    „Machst Du mir die Tür auf oder soll ich
hochklettern?“
    Mader? Unschlüssig stand ich vor dem Türöffner
kurz danach sie in der Diele, ebenso unschlüssig, ein wenig verlegen.
    „Ein Glas Wein, ja, ich denke, das wäre jetzt
gut, sehr gut sogar.“
    Ich sah sie an, nickte und machte mich auf den
Weg in die Küche, langsam, sehr langsam. Was sollte das?
    Als ich zurückkam, saß Mader auf dem Balkon,
die braunen Beine lang ausgestreckt auf der Brüstung. Ich reichte ihr ein Glas.
    „Danke.“
    Pause. Ich wartete, wie immer, was sollte ich
auch sonst tun.
    „Schön hier. Der Park, die alten Bäume.“
    „Kein Park, ein Friedhof.“
    „Trotzdem.“
    Wir schwiegen vor uns hin.
    Ihr Shirt spannte über den flachen Brüsten.
    „Kann ich eine Zigarette haben, bitte.“
    „Du rauchst doch gar nicht?“
    „Nur wenn ich aufgeregt bin.“
    Never fuck in the factory , dachte ich. Sie inhalierte rasch, fahrig, schnipste die
Asche über die Brüstung. Ich wartete noch immer.
    „Du hast sie gekannt.“
    Keine Frage,

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