Coltan
eine Feststellung. Mader schaute
auf die Linden und schien sich an der Zigarette festzusaugen. Kein Zweifel, sie
meinte Lily. Aber wie konnte sie das wissen? Das Bild? Nein, Mader war noch nie
hier gewesen. Oder hatte sie das Foto eben zufällig gesehen und war mit einem
ganz anderen Ziel bei mir eingekehrt? Ich nippte an meinem Wein, Zeit gewinnen.
Dann sprudelte es aus ihr heraus. Der Morgen,
als ich mich zu Lily kniete, die Haarsträhne, meine Schweigsamkeit, meine
Erleichterung als Ferdinand das Betäubungsmittel nachgewiesen hatte. Und dann
die Fotos, langsam hätte alles einen Sinn ergeben, auch warum ich mich so
anders als sonst verhalten habe. Ich, der Advocatus Diaboli, der immer dagegen
hielt oder schwieg, griff plötzlich nach jedem Strohhalm, um aus dem Fall einen
Mordfall zu machen.
„Unten vor der Tür dachte ich trotzdem noch,
das Ganze könnte ein Irrtum sein, eine andere Frau, die ihr ähnlich sah. Mehr
nicht. Aber Du hast ein paar schöne Bilder in Deinem Wohnzimmer. Eigentlich nur
eins.“
Lilys Foto! Aus die Maus.
„Und jetzt?“
Sie sah mich an: „Jetzt bist Du dran.“
„Ich müsste den Fall abgeben.“
Sie drehte sich zu mir, lächelte. Ihre Augen
sagten: Soweit sind wir noch nicht.
„Oder wir ziehen das zusammen durch, ohne Geheimnisse.
Woher soll ich wissen, wen Du noch alles kennst?“
26
Nachdem Lily aus dem Krankenhaus verschwunden
war, beschäftigte sie mich noch eine Weile. Die Klinik hatte sich auf mich
verlassen, was ihre Identität betraf. Name, Krankenkasse und so weiter. Es ging
schlicht und ergreifend ums. Geld. Mir fehlte es damals an Routine, ich fühlte
mich wohl in meiner Rolle als Samariter für gestrauchelte Seelen und hatte alles
andere vergessen. Keinen Namen, keinen Ausweis, ich hatte nicht einmal in ihrem
Täschchen nachgesehen. Keine Fingerabdrücke, nichts. Der Papierkrieg dauerte vier
Wochen, bis die Verwaltung schließlich nachgab. Das Bett war sowieso frei und der
Liter Kochsalzlösung trieb niemanden in den Ruin.
Als ich sie Jahre später wieder traf, stand ich
einer Frau gegenüber, die nichts mehr mit dem abgemagerten Mädchen vom
Kinderstrich gemein hatte. Einzig die Lilie am Fußgelenk weckte meine
Erinnerungen. Sie war durchtrainiert, hatte langes schwarzes Haar und stand auf
einer kleinen, schlecht beleuchteten Bühne vor einem Barhocker. Wir hatten
einen Tipp bekommen, dass es hinter der Bar in einem leer stehenden
Seitenflügel nur so vor Illegalen wimmeln sollte, die auf Freier warteten.
Berlin war im Kommen, wer wollte da nachstehen, und vor allem die neuen
Mitbürger aus dem Osten waren scharf auf schnellen Sex. Viele träumten von
einer, wenn es sie denn je gab, längst verflossenen Bordellromantik. Das Geschäft
boomte und die Zonis glaubten, die Schönen der schlecht beleuchteten
Hinterzimmer hätten wirklich etwas für sie übrig, wenn sie routiniert vor sich
hin stöhnten. Dazu kam der Wunsch nach Exotischem. Überall gab es junge
Asiatinnen, meist ohne Papiere. Einmal Hinterhof statt zwei Wochen Thailand,
das konnte sich jeder leisten.
Lily unterbrach ihre Show, trug nur noch einen
schmalen, mit Strass besetzten Tanga und ihren Push-up-BH.
„Ausweis!“, herrschte ich sie an, und erntete
einen mitleidigen Blick. Dann hob sie langsam den Fuß, setzte ihn auf den Barhocker
und legte den Kopf aufs Knie.
„Wo, denkst Du, könnte ich den wohl hin gesteckt
haben?“
Schon als sie den Mund öffnete, schoss mir das
Blut ins Gesicht. Ich hatte mich blamiert, bis auf die Knochen. Ein dämlicher
Bulle mehr in der Stadt, der sich hilflos im Raum umsah und nicht so recht
wusste, wie es weitergehen könnte. Plötzlich entdeckte ich die kleine Lilie.
„Man trifft sich immer zweimal.“ Der Spruch war
zwar abgedroschen, rettete mich aber aus meiner Sprachlosigkeit. „Hättest
damals im Krankenhaus wenigstens noch frühstücken können.“
Sie überlegte kurz und plötzlich fiel alles
hochmütig Herablassende von ihr ab, ein warmes, erkennendes Lächeln verwandelte
ihr Gesicht.
„Komm!“, sagte sie und zog mich hinter den
Vorhang in eine kleine Garderobe.
Die Papiere waren in Ordnung, amtsärztliche
Untersuchung, eine Meldeadresse irgendwo in der Lüneburger Heide. Steuernummer,
Lily hatte sogar einen Vertrag dabei, als freiberufliche Tänzerin – gebucht für
zwei Wochen. Sie zog sich unbeeindruckt um. Wir beobachteten uns im Spiegel,
und als sie mich anlächelte, drehte ich mich abrupt weg. Nach nicht einmal zwei
Minuten stand eine
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