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Coltan

Coltan

Titel: Coltan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivo Andress
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junge Frau in Jeans und Sweatshirt vor mir, die ebenso gut
hätte an der TU studieren oder bei Douglas die Fenster dekorieren können. Nichts
erinnerte mehr an den Mief parfümierter Desinfektionsmittel oder schwitzender
alter Männer, denen sie regelmäßig ihre Titten ins Gesicht hielt. Sie war
schön, ohne auffällig zu sein.
    „Na dann.“
    Ich nickte.
    „Und, danke.“
    Die Bar war sauber. Keine Illegalen, nichts.
Wahrscheinlich ein Streit unter Zuhältern, einer schwärzt den andern an. Wie so
oft. Wir zogen ab.

27
    Am matt erleuchteten Ende der Kurfürstenstraße,
kurz vor der Potsdamer fand die allabendliche Parade der Einsamen und Perversen
statt. Hier kannte sie sich aus, anders als in der Suite, an die sich kaum noch
erinnern konnte. Ebenso wenig wie an die Frau mit dem kurzen Namen. Alles war schon
so lange her, und sie vergaß immer schneller.
    Sie wusste noch, dass sie fror, als sich das
kalte Wasser über sie ergoss. Die Frau pfiff leise vor sich hin. Sie kannte die
Melodie, irgendwas aus den frühen 80ern, es schien ihr Spaß zu machen. Dann
wurde sie plötzlich sehr ernst: Halt den Mund und zieh Dich an. Sie verstand
nicht, was geschehen war, doch die Frau duldete keine Fragen, zog ihr einfach das
Shirt über den Kopf wie einst ihre Mutter. Dann war da noch dieser Mann. Er
greift nach ihrer Hand, will nicht, dass sie das Apartment verlassen. Plötzlich
sackt er zusammen. Ein Fahrstuhl, ein großer Raum, Taxi, Schlesisches Tor.
    „Lass Dich nicht auf der Straße sehen! Versteck
Dich. Zwei, drei Wochen.“
    In ihrer Hand hielt sie ein Bündel Geldscheine.
Genug, um sich eine Aus-Zeit zu gönnen. So war sie zu einer Freundin gezogen. Es
war alles so verschwommen. Zuviel Geld für einen schmutzigen Fick. Doch jetzt
war es alle, der Stoff auch. Sie musste wieder raus, warum auch nicht.
    Die Stadt kochte, selbst abends ging kein
kühlender Wind durch die Häuserschluchten. Dann und wann hielt ein
verschwitzter Freier.
    „Schon was vor?“ Immer wieder lehnte sie sich
in die heruntergekurbelten Seitenfenster, aber „nur mit“ war heute nicht
gefragt.
    Kurz nach Mitternacht machte sie sich auf den
Weg. Die Kurfürstenstraße runter, über die Potsdamer, immer weiter. Vorbei am
90-Grad, hämmernde Bässe. Sie muss mal, dringend. Da vorne, der kleine Park. Noch
fünfzig Meter, kurz in die Büsche.
    An lauen Sommerabenden fuhr sie manchmal mit
einem Freier her. Dann stützte sie sich mit den Händen auf der Rückenlehne
einer der Bänke ab, spürte im Nacken die stoßweise herausgepressten Spucketröpfchen,
während schwitzende Hände sich um ihre Brüste legten.
    Ein leises, dumpfes Geräusch irgendwo, weit weg.
Vielleicht eine Autotür.
    Sie stellt ihr Täschchen unter die Bank und ging
in die Hocke. Plötzlich ein Knirschen, Schuhe auf trockenem Kies, ganz nah. Und
was ist das für ein sirrendes Geräusch? Sie dreht langsam den Kopf. Das Geräusch
ist schneller, ein Sirren, als würde etwas direkt auf sie zu fliegen, schnell, rasend
schnell, zu schnell für einen letzten Gedanken. Ihr Kopf klappt nach hinten,
gehalten nur noch von einigen Muskelfasern. Ihr Körper verharrt noch einen
kurzen Moment, dann löst sich die Muskelspannung und die Schwerkraft übernimmt
das Kommando.

28
    „Erledigt.“
    „Irgendeine Verbindung?“
    „Nichts, eine Gürteltasche mit etwas Kleingeld.
Mehr hatte sie nicht.“
    „Und wie liest es sich diesmal?“
    „Sieht ganz nach einer Erziehungsmaßnahme aus. Durchgedrehter
Zuhälter mit einem Hang zu asiatischen Techniken. Könnte auch ein Perverser
sein, soll vorkommen in der Gegend.“
    „Das übliche Konto?“
    „Ja.“
    „Und wenn sich noch etwas ergibt?“
    „Sie finden mich über E-Bay. Wie wäre es mit „Lila
Rosenstauden aus Afrika abzugeben“, ich melde mich dann.“
    „Wann reisen Sie ab?“
    „Morgen früh.“
    „Sie sollten den Abend für einen Stadtbummel
nutzen.“
    Der Nachthimmel über dem Potsdamer Platz
schimmerte rötlich vom Licht der unzähligen Scheinwerfer. Er sehnte sich nach
dem tiefen Blau, den Sternen, der Dunkelheit weit vor den Toren Moskaus. Dann
öffnete er den Laptop und startete das News-Programm. Er tippte „Kongo“ ins
Suchfeld – keine Neuigkeiten. Für den Moment war er beruhigt, doch er wusste,
schon in wenigen Stunden konnte sich alles ändern, weil sie nicht begreifen
wollten oder konnten, dass die Welt kleiner geworden war. Für ein paar Dollar wurden
Frauen und Kinder abgeschlachtet, und schon waren sie wieder im

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