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Coltan

Coltan

Titel: Coltan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivo Andress
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Rampenlicht. Er
klappte den Bildschirm zu und starrte auf die großformatige Klee-Reproduktion.
Strichmännchen, die Welt eines Kindes, das Original war bestimmt einige
Tausender wert. Überall Probleme. Wenn erst CNN die Kameras auf das Elend hält,
dann kommen sie alle mit ihren Übertragungswagen und Satellitenschüsseln und
schauen in jedes Dreckloch. Und als wäre das nicht genug, musste er sich auch
noch mit Starnhagen rumschlagen.

29
    Wir starrten schweigend die Linden auf der
anderen Straßenseite an. Ab und zu nippte Mader an ihrem Weinglas. Sie war die erste
und einzige Kollegin, die mich je zu Hause besucht hatte. Von Kollegen ganz zu
schweigen. Außer Lily hatten bislang nur ein Klempner und der Hausmeister einen
Blick in meine Wohnung geworfen. Keine Familie, die sich an Geburts- oder
Feiertagen die Treppe hoch quälte. Mutterseelenallein auf der Welt und auf dem
besten Wege, ein einsamer alter Mann zu werden, dessen Fehlen wohl als Erster der
Weinhändler bemerken würde, wenn mein regelmäßiger Wochenendeinkauf dauerhaft
unterbliebe. Oder Ferdinand, mit dem ich mich einmal im Monat auf ein Bier
traf.
    Einsam in einer tobenden Stadt, deren Zeitungen
täglich mit Geschichten von der vergeblichen Jagd paarungswilliger Singles auf
Artgenossen gefüllt wurden. Wirklich bedrückend war allerdings die Erkenntnis, nichts
zu vermissen, nicht mehr hungrig aufs Leben ohne je satt geworden zu sein. Am
Überfluss verhungert , könnte dereinst meinen Grabstein schmücken.
    Ich konnte 25 Sorten Rotwein am Geschmack
unterscheiden und blickte voller Verachtung und Unverständnis auf das Treiben
um mich. Zuviel gesehen, zuviel erlebt, zuviel gekannt, um mich noch täuschen
zu lassen. Und nun war auch Lily fort, für immer verloren.
    Mader räusperte sich und ich begann zu erzählen,
von Gozo, wie schnell die Jahre vergehen. Ich hatte ein Farmhaus gemietet, lag
tagsüber auf den Felsen, schnorchelte um die Insel und ging abends zum
Engländer nach Xlendi. Schlafen, Essen, schwimmen – Ruhe. Ein guter Ort, um die
Bilder zu vertreiben.
    Die Stille unter Wasser, das schwerelose Gleiten,
der kurze Frieden. Ich ließ ich mich in die Tiefe fallen, folgte der Spur des
Lichts bis meine Lungen zu bersten schienen. Aus der Welt sein, dem Sog ins
Dunkle entlang schroffer Klippen folgen. Die Verheißung der Tiefe so unmittelbar,
mit jedem Flossenschlag verliert die Zeit ihre Bedeutung, schwerelos
aufgefangen und mit jeder Pore auf Grenzerkundung, der Ohnmacht nahe und doch
völlig unbeschwert. Von Tag zu Tag zog es mich tiefer herab, wurde der Wunsch
zu atmen um fünf, zehn Sekunden verschoben auf der Skala der Selbstüberwindung.
Und dann war es doch wieder die Natur, die die Führung übernahm und all dem ein
Ende setzte.
    Die Muräne schob langsam ihren Schlangenkopf
aus der Höhle. Das Maul leicht geöffnet, gleichmäßig die spitzen Zähne. Ich
schwebte, wir fixierten uns. Sie ließ den Kopf kreisen, als sei sie sich
unsicher über den Nährwert des vor ihr treibenden bleichen, schwabbeligen Fleisches.
    Plötzlich traf mich ein Schlag auf den
Hinterkopf.
    Ich blickte nach oben und schon kam ein Fuß
direkt auf meine Nase zu. Alles, was ich sah, bevor ich die Augen schloss, war
eine Lilie.
    Ich hatte seit Tagen keinen sinnvollen Satz
mehr formuliert und stotterte: „Muräne, da unten! Kommt gleich raus! Weg hier!“
    Ein kurzer Blick über die Schulter: „Eine was?“
    „Eine Muräne. Und außerdem,“ ich spuckte
Wasser, „zweimal getreten!“
    „Oh!“
    Ihr Lächeln, frei von Schuld, ein kurzes
Winken, dann schwamm sie mit kräftigen Zügen ans Ufer. Ich folgte ihr.
    „Tut es weh?“
    Ich nahm die Taucherbrille ab und erntete ein
erneutes „Oh“, mit einem unüberhörbaren ironischen Unterton.
    Meine Nase schwoll an und ich rieb mir das
Salzwasser aus den Augen.
    „Wir haben wohl kein Glück miteinander. Immer
geht was schief, wenn wir uns begegnen. Werde ich jetzt angezeigt, wegen -“,
sie zog die Augenbrauen leicht nach oben, als müsse sie überlegen: „Widerstand
gegen die Staatsgewalt?“
    Dann streckte sie mir ihre Hand entgegen:
„Lily.“
    Sie war jetzt Mitte zwanzig, trug kurze Haare
und einzig die Lilie erinnerte noch an das Mädchen auf dem Parkplatz.
    Am ersten Abend saßen wir in Victoria unter den
Platanen und tranken Campari, am nächsten Abend lästerten wir beim Engländer am
Hafen über die Küche. Sie war, ja, sie war bezaubernd. Erzählte dies und jenes,
Schnurren, Anekdoten,

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