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Coltan

Coltan

Titel: Coltan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivo Andress
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im
Weinberg des Herrn, wie man früher gesagt hätte, wurde urplötzlich zur größten
Bedrohung seiner Karriere. So hatte Ahrendt sich den Gegner, dem er eines Tages
gegenübertreten würde, nicht vorgestellt. Durch Gallert fühlte er sich vom
Schicksal persönlich beleidigt. Wenn schon, dann sollte da einer kommen, der
ihm in an Intelligenz ebenbürtig war, nicht dieser Bauer.
    Auf der Straße unter ihm schwammen die letzten
Limousinen der Fahrbereitschaft des Bundestages durch den nächtlichen Verkehr.
Vielleicht bog Starnhagen gerade um die Ecke. Er, der die Antwort auf alle Fragen
kannte.
    Ahrendt hatte eine Ahnung, doch die gestattete
er sich kaum zu denken, noch weniger sie auszusprechen. Im Augenblick konnte er
nur hoffen, es gab nichts zu tun, noch nicht. Er schloss die Augen und setzte
seinen Drehstuhl in Gang.
    Van Broiken steckte nur kurz den Kopf durch die
halb geöffnete Tür. Der Gang war leer, die Tür zum Konferenzraum geschlossen. Reutter
wollte erst in einer Stunde wieder da sein. Ihr war klar, dass sie in den Augen
vieler Kollegen nur die Nutznießerin einer über Generationen gepflegten
Familientradition war. Allein der Name öffnete Türen, die anderen ein Leben
lang verschlossen blieben. Aber ihrem Stammbaum verdankte sie weit mehr als
ihre Karriere. Sie besaß, was man nicht lernen oder kaufen kann: über Generationen
gesammelte Erfahrung und angeborene Instinkte. Eine van Broiken konnte eine
Intrige riechen , noch bevor sie in die Welt gesetzt wurde. Von Kindes
Beinen an war sie auf diese, ihre Zukunft vorbereitet worden. Zukunft, dozierte
ihr Großvater gern und oft, Zukunft hat auf Dauer nur, wer Vergangenheit und Gegenwart
fest im Griff hat, am besten die der andern, und zwar zwischen zwei
Aktendeckeln.
    Bei der Erinnerung an den alten Mann musste sie
lächeln. Viele hatten gedacht, er würde ihnen uneigennützig zu Diensten sein,
ohne je zu begreifen, dass sie doch nur willige Werkzeuge in seinen Händen waren.
    Die Zeit der Aktendeckel ist vorbei, dachte
sie, und holte ihren MP3-Player aus der Tasche.

49
    Gegen vier wachte ich schweißgebadet auf. Mader
war nicht mehr da. Im Traum stand plötzlich Lilys Mörder vor mir. Seine Stimme
war leise, nicht unsympathisch. Er redete ununterbrochen, doch ich verstand
kein Wort, hörte nur den Klang seiner Worte. Er stand direkt vor mir und ich
zielte mit meiner Dienstwaffe auf seinen Kopf. Aber er hatte kein Gesicht, wo
war dann der Punkt zwischen den Augen? In der Mitte des oberen Drittels des
Kopfes? Er redete und redete, bis ich ihm gebot, zu schweigen. Endlich war Zeit
für die eine Frage: „Warum?“
    Er zuckte mit den Schultern, hob entschuldigend
die rechte Hand. Keine grobe Hand, gepflegt mit sauber manikürten Nägeln und
einem schmalen goldenen Ring am Zeigefinger. Plötzlich verstand ich jedes Wort.
    „Ich mache nur meinen Job.“
    Kopfschüttelnd wiederholte ich leise seine
letzten Worte und sagte laut: „Ein Auftrag, mehr nicht.“
    Wieder dieses entschuldigende Schulterzucken. Mein
Zeigefinger krümmte sich, ich spürte den Widerstand des Abzugs, die letzte
Hürde, und erwartete das umherspritzende Hirn. Aber nichts geschah. Die Kugel
verschwand in der Tiefe des Raums. Ein heiseres Lachen, dann zog er ein blinkendes
Samurai-Schwert aus dem Hosenbund und ließ es über seinem Kopf kreisen. Ich
spürte den Luftzug der Klinge an meinem Hals und war starr vor Angst. Nein, ich
wollte nicht sterben, noch nicht.

50
    Freitag.
    Die Autobahn zog sich endlos. Ich wusste, Mader
fuhr irgendwo hinter mir. Die üblichen LKW-Kolonnen auf der rechten Spur. Der
fortwährende Blick in den Rückspiegel brachte keinerlei Erkenntnisgewinn. Vielleicht
hatten wir uns doch zu wichtig genommen, litten unter Verfolgungswahn. Auch
Hanschke war nicht frei von paranoiden Wahnvorstellungen, lebte er doch
jahrelang in einer Welt, die aus Korruption, nächtlichen Treffen auf
Parkplätzen und stillen Whiskyrunden bestand. Doch die Videos, das Aftershave,
die toten Frauen: Das alles war keine Einbildung, sondern Realität.
    Kurz vor Dresden fuhr ich auf eine Raststätte,
tanken, pinkeln, Kaffee. Mader hatte eine Kollektion Pop-CDs auf dem
Beifahrersitz deponiert. Als wir im Kreis kniend Queen-Songs mitbrüllten, lag
sie noch in den Windeln. Eineinhalb Stunden jugendlicher Musikgeschmack waren
genug, ich schaltete das Radio an.
    Mader war mir ein Rätsel. Julia Mader, ich
hatte mein Leben, meine Karriere in ihre Hände gelegt und sie war mir so nah und
fremd zu

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