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Coltan

Coltan

Titel: Coltan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivo Andress
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gleich. Natürlich hätte ich sie fragen können. Doch ich schwieg, begnügte
mich mit unverfänglichen Antworten auf die Frage „Schönes Wochenende gehabt?“ Nein,
ich wollte nicht an ihrem Leben teilhaben, nicht an ihrem und nicht an dem
anderer Kollegen. Klare Grenzen. Ich wollte nie der anderen Last tragen, mir
reichte die eigene Bürde. Nicht einmal Lily hatte mir den Kokon vom Leib
gerissen. Wollte oder konnte sie es nicht? Unser stillschweigendes Arrangement,
vielleicht existierte es nur in meiner Phantasie. Vielleicht war es meine
Feigheit, die mich immer wieder zur Flasche greifen und vor übergroßer Nähe
zurückschrecken ließ. Das ganze Freiheit zu nennen, hörte sich natürlich wesentlich
besser an.
    Mader, was, wenn sie mich plötzlich einbeziehen
würde in ihr Leben? Mich um Rat anginge? Keiner trage des andern Last! Jetzt
war ich plötzlich der Milde anderer ausgeliefert, von denen ich nichts wissen
konnte, weil ich nichts wissen wollte. Wo aber kamen all die Fragen her, die
mir durch den Kopf schossen? Was hatte Mader damals in jenem Club getrieben?
Lebt sie allein?
    Im Radio lief Jazz, dazwischen ein leises
Knarren. Beide Handys waren aus, trotzdem gab es ein Störgeräusch. Ich
konzentrierte mich. Es kam wieder, ganz so als würde sich ein Mobiltelefon
einloggen. Nach einer halben Stunde war ich mir sicher, dass es nicht allein
meine paranoiden Schübe waren, die Hanschke überzeugt hatten. Mich beschlich wieder
das Gefühl, den Komparsen zu geben. Sollten die , wer auch immer sie
waren, wirklich Maders Auto verwanzt haben? Samt Peilsender? Wenn ja, wo waren
sie und was hatte das alles mit Lily zu tun?
    Dresden lag schon weit hinter mir, als ich auf die
Landstraße abbog. Vor mir lagen noch gut zwei Stunden, schön ruhig über die
Dörfer, jenseits der Fernstraßen. Die Tachonadel pendelte um die 70er Marke. Noch
gut fünfzehn Minuten, dann kam die Teststrecke. Fünf Kilometer Wald zwischen
zwei Dörfern. Ich sollte am Ortseingangsschild halten, mir die Beine vertreten.
Von 11:30 Uhr bis 11:35 Uhr. Mader war gut 10 Kilometer hinter mir und zwischen
uns, so die Theorie, fuhren die unsichtbaren Begleiter.
    „ Sie “, und ich war mir eigentlich fast sicher,
dass es sie gab, würden ebenfalls stoppen, irgendwo am Straßenrand, um sich zeitgleich
mit mir wieder in Bewegung zu setzen. Standardprozedur Überwachung, wahrscheinlich
klemmte der Sender am Unterboden.
    Mader drosselte nur kurz die Geschwindigkeit
und hob den Daumen beim Vorbeifahren. Dann bog sie hinter der Kirche ab.
    Ich setzte aus dem Feldweg zurück auf die
Straße und fuhr langsam weiter. Auf dem Beifahrersitz lag das neue Handy aus
dem Discounter. Eine Minute, zwei Minuten, drei Minuten – ein kurzes Summen. Die
Nummer kannte nur Mader. Wir hatten sie in die Zange genommen. Nach dem
dritten Klingeln verstummte das Telefon.
    Keine SMS, nichts. Das Kennzeichen würden wir
morgen überprüfen. Sie waren auf den ältesten Trick hereingefallen. Langsam
näherte ich mich Schneeberg.
    Hier wollte Lily mich nicht haben, in all den
Jahren. Hier also war ihr Rückzugsort, konnte sie ganz bei sich sein. Ich hatte
Angst, die nächsten Stunden könnten unwiderruflich zerstören, was mir an Erinnerungen
geblieben war. Zum ersten Mal seit Langem hatte ich Angst vor der Zukunft, einer
Zukunft, die vor allem aus Lilys Vergangenheit bestand. Ich wurde immer langsamer.
Wollte ich wirklich wissen? Was, wenn sie nicht allein gelebt hatte? Ein
Traktor hupte hinter mir. Ich behinderte den Verkehr, mit Schrittgeschwindigkeit
rollte mein Wagen am Ortseingangschild vorbei.

51
    Die Sonne stand im Zenit. Das frische Weiß des
Rathauses mit dem bunten Wappen über der wuchtigen Eichentür blendete mich. Der
Platz davor unbelebt. Kein Windhauch. Schneeberg. Siesta im Erzgebirge. Für wen
hatte man all diese Fassaden hergerichtet, die von der längst vergangenen
Pracht der einst reichen Bergwerksstadt erzählten? Ich wusste nichts über die
Menschen, die hier lebten, war in all den Jahren noch nie so tief im Osten
gewesen. Warum auch, der Schwarzwald reizte mich nicht, warum also das Erzgebirge?
Nur, weil es jahrzehntelang hinter Stacheldraht und Todesstreifen verborgen lag?
Keiner von denen, die irgendwo hinter den Gardinen zu lauern schienen, würde
freiwillig nach Kreuzberg fahren, es sei denn, er hätte die Tour gewonnen - als
Abenteuerurlaub. Sie waren mir fremd und nicht interessant genug, um mich weiter
mit ihnen zu beschäftigen. Nicht anders als die

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