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Coltan

Coltan

Titel: Coltan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivo Andress
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später machten wir uns auf den
Weg, stoppten noch bei einem Elektronikmarkt und saßen kurz vor neun auf meinem
Balkon.
    Hanschkes Reaktion war so eindeutig
ausgefallen, dass es nicht lohnte, darüber zu diskutieren, auch wenn Mader hin
und wieder grimassierend mit den Augen rollte. So richtig glaubten wir beide
nicht an das Szenario, das sich hinter seinen Anweisungen verbarg.
    Martens Telefon war bereits abgestellt und so
hinterließ ich eine knappe Nachricht auf der „Voicemail Box Martens“. Dann
begann der Showteil, untermalt von Lyonel Ritchie. Eine Jugendsünde, von der es
inzwischen hieß, man sollte sie nicht einmal Koma-Patienten zumuten. Auf der
Straße wurde es ruhiger. Mader blätterte immer wieder genussvoll leise vor sich
hin stöhnend im Autoatlas und tüftelte die Route aus.

48
    Ahrendt saß allein im Konferenzraum, einen
Zigarillo zwischen den Lippen, den er sich nicht anzuzünden traute. Vor ihm
eine Mappe mit Fotos. Starnhagen glücklich lächelnd am Wahlabend, umgeben von
penetrant grinsenden Unternehmern. Herrenrunde. Er studierte ihre Gesichter,
las daraus ab, was sie fühlten, dachten. Mochten sie noch so viele Personaltrainer
beschäftigen, er konnte ihre Gedanken lesen. Ihr kameratrainiertes Lachen kaschierte
kaum den Hang zur Selbstüberschätzung.
    Projekt Starnhagen hatten sie es genannt
und sich nicht lumpen lassen. Der Preis war hoch, das Risiko ebenfalls. Selbst gewiefte
Analysten hatten bis zum Wahltag gezittert, ob sich das Investment lohnen würde.
Die Partei liebte ihn nicht. Blieb ihm nur, den Wahlkreis zu gewinnen.
    Starnhagen mit Familie, Bilder, denen man die
Verabredung zum Foto-Shooting ansah, choreographierte Szenen einer Vorzeigeehe.
Etwas unschärfer dagegen, Silhouetten hinter einer weißen Seidengardine. Eva
Starnhagen schnellen Schrittes auf einer Auffahrt, dekoriert mit den typischen
Assessoirs einer unauffälligen Zweitbeziehung: Sonnenbrille, die Mütze tief
über die Ohren gezogen. Hübsche Frau, Mitte dreißig. Sie haben sich
eingerichtet.
    Wieder Starnhagen: in Moskau, Kapstadt,
Karatschi.
    Dranbleiben, aber unauffällig. Der Mann hatte
ein untrügliches Gespür für Überwachungskameras, aber den kleinen, altmodischen
Fotoapparaten entging er nicht. Nächstes Jahr würde er seinen Fünfzigsten
feiern, daheim im Münsterland, unauffällig auffällig, wie vor vier Jahren. Eine
Börse ganz eigener Art jenseits jeder politischen Farbenlehre.
    Und er, Starnhagens alter Ego, Tarnowski. Wenn der
Staatssekretär ins Flugzeug steigt, ist Tarnowski schon in der Luft. Beide
hatten sie eine Vorliebe für luxuriöse Farmhäuser, kannten jede first class
Lodge. Zufällige Treffen, nur selten erweckten sie den Eindruck, als wären sie
vertraut, alte Bekannte. Nie nutzen sie die gleichen Flieger. Selten nur
Direktflüge. Bis heute wissen nur drei, vier Leute von der TS Consult . Und
Starnhagens Frau, natürlich, ihre Altersvorsorge.
    Das Telefon vor ihm blinkte. Ahrendt hob den
Hörer ab, ein kurzes „Ja“, dann hörte er schweigend zu.
    „Schneeberg?“ Er strich sich mit der Hand über
die Bürstenhaare. Vor, zurück, er liebte das leichte Kribbeln auf der
Handfläche, es beruhigte ihn. Und Ruhe hatte er dringend nötig.
    Ein Begriff brachte die Misere auf den Punkt:
Black-box. Die Black-box hieß Gallert. Was, wenn seine Akte „Starnhagen“ zu
Gallerts Fall „Starnhagen“ mutierte?
    Er könnte all dem ein Ende machen,
intervenieren. Aber intervenieren heißt Wissen, die eigene Tarnung preisgeben.
Die Konsequenzen waren unabsehbar. Wer weiß, was Gallert sich schon jetzt
zusammenreimte? Natürlich könnte er Starnhagen ausliefern, aber um welchen
Preis?
    Er stand über allen und allem, hatte es weit
gebracht, sehr weit. Doch mit jedem Schritt wurde er einsamer. Wer würde ihn
vermissen, wenn er jetzt fiele? Niemand.
    Seit Jahren zog er unauffällig seines Weges,
nichts hielt ihn auf bis zu jenem Morgen, als Gallert unabsichtlich seinen Weg
kreuzte und sich, ohne es zu wollen oder zu ahnen, zu einem immer größer werdenden
Hindernis auswuchs.
    Dieser Mann, ein Säufer, der auf seine
klägliche Beamtenpension hin lebte, frustriert, erfolgreich aber ohne
Ambitionen, geradlinig zwar, aber mehr nicht. Das sind die Schlimmsten. Die,
die entweder aufgegeben haben oder es nie anders wollten, denen aber mit nichts
beizukommen war. Stolz vielleicht gar noch auf sein bisschen Freiheit, das doch
nur darin bestand, dass er nichts zu verlieren hatte. Ein ehrlicher Bauer

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