Coltan
gewesen, Mader
herzuschicken, um in den Resten von Lilys Leben zu stöbern? Noch kann ich sie
anrufen.
Schritt für Schritt.
Das Bad sauber, aufgeräumt, ein Stapel
Handtücher, grüne, gelbe, rote. Spiegelschrank, Kosmetika. Nichts deutet auf
einen Mann hin.
In der Küche ein kleiner Tisch mit Stuhl. Der
Kühlschrank fast leer, einige Joghurts, im Tiefkühlfach ein Mikrowellengericht:
Gulasch mit Knödeln.
An der gegenüberliegenden Wand ein
großformatiger Fotokalender: Impressionen aus der Arktis, ein blutverschmierter
Eisbär auf Robbenjagd als Monatsbild, bizarr im Hochsommer. Die obligatorische
Pinnwand daneben. Alles spartanisch, praktisch.
Acht Flaschen Mineralwasser im Spülschrank.
Die Tür auf der anderen Seite steht halb offen,
mitten im Raum ein Futon, an der Wand Stangen, an denen in Plastikhüllen
verpackte Kleider und Mäntel hängen, Wintergarderobe.
Die Wohnung wirkte unbewohnt, wie ein gut
sortiertes Lager, keine Spur von Leben, keine Unordnung. Das Bett frisch
bezogen. Nirgends Schmutzwäsche, vielleicht brachte sie alles, wenn sie ging,
zur Reinigung.
Mitten im Wohnzimmer steht ein Deck-Chair aus
Teak mit beigefarbener Auflage. CD-Anlage und Fernseher an der Wand zwischen
den Fenstern. Einzig das Bücherregal und der eingebaute Schreibtisch deuten auf
längere Aufenthalte hin. Die sonst so penible Ordnung, dort fehlt sie. Aufgeschlagene
Bildbände liegen verstreut auf dem Boden, aus dicken Büchern ragen hölzerne
Lesezeichen, abgegriffene Buchrücken, Benns gesammelte Werke. Notizblöcke, mit
Reißzwecken an die Regalbretter gepinnte Skizzen. Ein fröhliches Durcheinander
und in der Mitte das Bild eines nicht mehr ganz so jungen Mannes, der unrasiert
und verschwitzt Richtung Kamera blickte, als der Auslöser betätigt wurde. Wenn
sie auf dem Deck-Chair saß und den Kopf nach rechts drehte, sah sie mir direkt
ins Gesicht.
Ich nahm das Foto ab und ließ es in der Jackentasche
verschwinden. Im Treppenhaus rumorte der Kollege mit einigen Pappkartons: „Kommen
Sie, alles in Ordnung!“
Wir reißen die Fenster auf, sollten sie doch sehen, wo ich bin. Der frische Luftzug verschafft ein wenig Kühlung und vertreibt
den Duft ihres Parfums aus der Wohnung.
Hier muss sie sich sicher gefühlt haben, hier
zwischen all den Rentnern und Übriggebliebenen. Sie kam, sie ging, vielleicht
ein, zwei Sätze zu den Nachbarn im Treppenhaus. Niemand hätte sie hier
vermutet. Ein idealer Ort, Zwischenstation für eine, die noch immer auf der
Reise war.
Ich räume den Schreibtisch ab und packe alles
in die Umzugskartons. Jeden Zettel, jeden Notizblock, Fotoalben, Disketten,
Laptop. Wir blättern Buch für Buch durch. In einem chinesischen Lackkästchen ein
zweites Schlüsselbund mit Doppelbart-Sicherheitsschlüssel, zu dem es in der ganzen
Wohnung kein Schloss gibt.
Nach einer Stunde bin ich erledigt, meine Hände
schwitzen in den Latexhandschuhen. Die zuständige Spurensicherung würde am
nächsten Tag noch nach Fingerabdrücken suchen, aber ich war ziemlich sicher,
außer Lily war in den vergangenen Monaten niemand hier gewesen.
Der Kollege wühlt sich noch durch die Schränke,
ergebnislos, keine doppelten Böden oder Wände. Dennoch beschleicht mich das
Gefühl, etwas übersehen zu haben. Keine Rechnungen, Kontoauszüge, Terminplaner.
Die Nachbarn geben bereitwillig Auskunft: Saubere,
ordentliche Frau. Oft unterwegs. War ja nicht von hier. Hat trotzdem immer freundlich
gegrüßt, niemanden gestört.
Links vier Wohnungen, rechts vier Wohnungen.
Hinter den Türen Männer in grauen Unterhemden, zu früh alt geworden im Bergbau
und danach ausgespuckt. Jetzt warten sie hustend auf ihr Ende. Nein, sie haben
die Frau nur selten gesehen, was denn los sei?
Tot, ach nee. Ungläubiges Staunen begleitet von
Fernsehtalkshows und Dauerwerbesendungen im Hintergrund, die auszuschalten mein
Auftritt keinen Anlass bietet. Die Mieter der oberen Wohnungen kannten nur ihr
Klingelschild. Einer weiß sicher, dass sie sich immer, vom Taxi abholen ließ.
Was soll man machen, den ganzen Tag? Da schaut man schon mal, wenn was auf der
Straße passiert. Hier fährt ja sonst keiner Taxi. Nichts los, abgesehen vom
Bestatter hin und wieder.
Gäste? Kopfschütteln. War ja selten da, nich.
Die Antwort als Frage. Die Frau will nichts verschweigen. Ich sehe sie
aufmunternd an. War ja oft unterwegs, und hat den Plan nicht eingehalten. Da
zahlen wir doch alle weniger Miete, wenn wir putzen. Sie wischt sich verlegen
die Hände an der
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