Coltan
wollen sie gar nicht wissen, wer ich bin.“
Hanschke hatte Spaß an der Geschichte und es
quoll nur so aus ihm heraus: „Natürlich wollte ich es wissen. Der Mann war Ende
dreißig und die Mädels waren etwas zu jung. Ist ihm angeblich nicht aufgefallen.
Schlechte Beleuchtung. Jedenfalls musste ihn ein netter Kollege erst an die
Wand nageln, bevor wir das Geheimnis lüften konnten. Am nächsten Tag bekam ich
einen freundlichen Anruf und der Name Starnhagen verschwand wieder aus der
Akte. Hatte schon so genug Ärger.“
Ich verstand ihn gut: „Und Tarnowski?“
„Soll ausgewiesen worden sein, quasi über
Nacht. Sicherheitshalber. Hat ihm aber nicht geschadet, denn in Russland wurde
aus dem kleinen Schieber innerhalb kurzer Zeit so eine Art Spin-Doctor für deutsch-russische
Handelsbeziehungen. Und jetzt raten Sie mal, wer sich seit Jahren für die
strategische Ausrichtung des Ostgeschäftes zuständig fühlt?“
„Starnhagen?“, Mader war anzumerken, dass ihr
Weltbild in den letzten Minuten arg beschädigt worden war.
„Richtig. Die beiden sind ein Traumpaar. Irgendwer
hat immer mal hier und da ermittelt, ohne Erfolg. Na, und ich hab ein Hobby
gebraucht, mag es eben nicht, wenn man mir reinpfuscht.“
In der City staute sich der Nachmittagsverkehr.
Ich kurbelte das Seitenfenster herunter.
„Schöne Geschichte. Für Ihre Memoiren! Ansonsten,
aus die Maus!“
Hanschke sah mich im Spiegel an.
„Irrtum! Wir fangen gerade erst an!“
Mader atmete hörbar aus: „Die sollen sich
wundern!“, und versetzte mir einen gezielten Schlag auf den Oberschenkel.
„Aber, was ich noch nicht verstehe. Was haben
die zwei mit Lily und Susanne Berthold zu schaffen?“
Hanschke manövrierte den Wagen auf die Busspur
und trat das Gaspedal wieder durch: „Bis jetzt ist es nur eine Vermutung. Ich
glaube, dass es Starnhagen war, vor dem die Frauen so Hals über Kopf geflüchtet
sind.“
„Und warum?“, ich lehnte mich zurück und
schloss die Augen.
Keine fünf Sekunden später wurde mein Körper
zwischen Fahrer- und Beifahrersitz katapultiert. Der eilige Staatsanwalt hatte
nichts übrig für seichte Manöver und ich keinen Sicherheitsgurt. Wir waren
wieder am Columbiadamm.
72
Ahrendt schlug mit dem Handballen auf die
Stopp-Taste des Aufzugs.
Viel Zeit blieb ihm nicht. Er musste sich
entscheiden. Nichts hatte er gewonnen. Als er die CDs gleich obenauf im ersten
Karton sah, wusste er, dass alle Mühe vergebens war. Der Rest, nur Habseligkeiten,
Kleinkram. Er hatte sie unterschätzt, ihre Hartnäckigkeit ebenso wie den
schicksalsträchtigen Faktor Zufall.
Tarnowski war außer Landes. Und sein Geschöpf
zu opfern, verspürte Ahrendt keine Neigung, zumal er Gründe genug hatte, am
Erfolg zu zweifeln Gründe. Tarnowski, immer zwischen den Oligarchen und dem
Kreml balancierend und von allen wohlgelitten. Tarnowski war lebenswichtig,
überlebenswichtig geworden, nicht nur für ihn.
Ahrendt lehnte sich an den Spiegel.
Die Steigerung der Tantalgewinnung bei der
Verhüttung in Russland erfreute sich der Unterstützung der Bundesregierung. Sie
hatten die Lieferanten, sichere Handelswege und jede Menge Abnehmer. Viele
fühlten sich ihm verpflichtet, wussten um die Risiken und waren hoch erfreut,
als ihnen das Modell präsentiert wurde. Keine Fragen, obwohl alle wussten, dass
der Preis nicht nur gut, sondern zu gut für diese Welt war. Aber wer will, wer
kann schon die russische Weite kontrollieren.
Starnhagen! Er war das schwächste Glied in
ihrer Kette. Ohne ihn, ohne seine … Ahrendt schüttelte angewidert den Kopf. Wie
oft schon hatte er das neueste Gerücht im Keim erstickt. Er, Ahrendt, war Starnhagens
Janus, sein zweites Gesicht. Die sechste Etage war eine Idee des
Staatssekretärs gewesen, damals als ihm seine Beziehungen noch wichtiger waren
als seine Position. Ahrendt durfte das Schattenreich mit Schattenhaushalt
führen. Jeder Kontrolle entzogen. Er hatte das Risiko einer ruhigen
Beamtenkarriere vorgezogen. Nach all dem glaubte er sich endlich am Ziel, endlich
einen Wunsch freizuhaben: vielleicht ins Kanzleramt oder als Berater in die
Wirtschaft? Ein paar Wochen noch, wenige Monate. Doch plötzlich geht es ums nackte
Überleben.
Lily Gormanns Buchführung war penibel:
Auftraggeber, Preise, Daten, Kontaktpersonen. Auch wenn es nur Kürzel waren, Gallert
und diese karrieregeile Schnepfe würden sie zweifellos entschlüsseln.
Ahrendt konnte sich bildhaft vorstellen, was
dann drohte. Irgendein beschränkter
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