Coltan
ich langsam den Überblick und fragte mich, ob wir
uns nicht unversehens in Hanschkes Kleinkrieg verfangen hatten.
Mader ließ wie so oft ihre Zehenspitzen
kreisen: „Was ist eigentlich mit diesem Starnhagen?“
Hanschke warf ihr einen dankbaren Blick zu: „Starnhagen,
richtig! Bislang der Einzige, für den sich der Aufwand lohnt. Zumindest gehören
er und Ahrendt irgendwie zusammen. Ein Herr namens Ahrendt hat sich damals auch
um die Sache in Cheb gekümmert. Und dann ist da noch dieser Russe.“
Auf der Leinwand erschien das Bild eines gut
gebauten, dunkelhaarigen Mittvierzigers. Hanschke erzählte von seinem Ausflug
in die High Society.
„Tarnowski, Starnhagens Alter Ego. Seit
Neuestem sorgt er sich wahrscheinlich um die menschenfreundliche Förderung von
Tantal im Kongo.“
Maders Händen fehlten ihr obligatorischer
Notizzettel und ein Stift. Sie schloss die Augen und versuchte konzentriert,
kein Wort zu verpassen. Es folgte ein Firmenname: Intermining, dann ein kurzer
Ausflug ins Reich edler Metalle und eine lange Pause. Ich stierte gedankenleer
vor mich hin bis Mader endlich das Schweigen brach: „Interesse an einer
Hypothese?“
Sie suchte einen Moment nach dem richtigen
Anfang.
„Also, Starnhagen, Tarnowski, Ahrendt. Was könnte
die drei verbinden? Wahrscheinlich Geld. So tickt die Welt, meistens jedenfalls.“
Hanschke zupfte an seiner Bügelfalte: „Ja, so ein
kleiner, feiner Rohstoffdeal. Tarnowski kauft im Kongo Tantal, bringt es nach
Russland, wo er es mit den Nebenprodukten diverser Zinnhütten mischt und schon
kann niemand mehr nachweisen, woher es wirklich kam.“
„Und schon ist aus blutiger Embargoware ein
sauberer Rohstoff geworden. Und alle sind glücklich. Aber,“ Mader geriet ins
Stocken, „wozu braucht er dann diesen Umweltschützer? Diesen Humanitarian Life
Trust?“
Hanschke lehnte sich zurück: „Ganz einfach: Mister
Steven Mbango sorgt dafür, dass die Intermining ihre Aktivitäten im Kongo
erklären kann. Ganz offiziell. Was bei der Verhüttung in Russland anfällt, kann
sowieso niemand überprüfen und zum Schluss landet alles in einem großen
Container.“
„Und Starnhagen gibt die politische
Rückendeckung, sorgt dafür, dass die Intermining über jeden Zweifel erhaben ist.
Geradezu innovativ diese Rückgewinnung oder was auch immer.“
Vor mir saßen zwei glückliche Menschen.
Ich räusperte mich: „Irgendwer muss ja den
Spielverderber geben. Also, da sind noch die zwei Leichen, falls ihr euch
erinnert. Und eins ist sicher: Tantal hat keine von ihnen geschmuggelt. Die
haben Tarnowski und Starnhagen vielleicht den Abend versüßt, mehr aber auch
nicht.“
Hanschke und Mader gaben sich eine Auszeit,
dafür überkam mich das Gefühl, endlich alle Fragen beantworten zu können: „ Ahrendt
und sein Kommando treten immer dann auf, wenn irgendwas gründlich schief
gelaufen ist. Heißt, Starnhagen steckt bis zum Hals in irgendeiner Scheiße, die
das ganze Projekt gefährden könnte!“
Mader malte mit der Schuhspitze kleine Kreise
in die Luft und sah mich mitleidig an. Ich hatte leider nur ausgesprochen, was
schon längst klar war. Hanschke dagegen war zu höflich, um meinen kleinen
Anflug von Genialität zu kommentieren.
76
Reutter und van Broiken gingen um den
Konferenztisch herum.
„Was hat Ahrendt mit den CDs gemacht?“
„Mitgenommen?“
Reutter stöberte in den Papieren: „Soll ich ihn
anrufen?“
Van Broiken schüttelte den Kopf und musterte
die Asservate: „Wie ist Gallert eigentlich in die Wohnung gekommen?“
„Na, mit einem Schlüssel?“
„Und wo ist der?“
Reutter überlegte: „Keine Ahnung.“
„Dann hat er ihn also noch.“
„Na und?“
Sie griff nach ihrer Handtasche: „Weiß nicht,
lass uns Feierabend machen.“
Was für ein Leben, dachte sie, Samstagabend und
nichts vor mir als eine leere Wohnung. Reutter ging zwei Schritte vor ihr.
Nein, jeden nur nicht den. Wo waren nur die hungrigen Singles, von denen sie
immer in der Zeitung las, die vielen einsamen Männer, allzeit bereit für einen
One-Night-Stand. Van Broiken fühlte sich alt, ausgelaugt. Sie verspürte, was
sie insgeheim ihre maskuline Ader nannte, den unwiderstehlichen Drang nach
einem wilden Fick. Reutter hielt ihr die Tür auf, dann standen sie auf der überhitzten
Straße, unschlüssig.
„Noch ein Bier?“, fragte er zaghaft.
Doch mehr als ein kurzes Lächeln erntete er
nicht, dann war sie wieder da, ihre eingeübte Unnahbarkeit. Vielleicht spürte,
roch er,
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