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Coltan

Coltan

Titel: Coltan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivo Andress
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weiß,
Standardformat, verschlossen mit einem altertümlichen Wachsklumpen, der durch
einen Siegelstempel der Kanzlei platt gedrückt worden war.
    „Wir vereinbarten, dass Frau Gormann sich jeweils
am letzten Montag des Monats bei mir meldet. Andernfalls sollte ich mich mit
Ihnen in Verbindung setzen. Nun, Sie sind mir zuvor gekommen. Lily Gormann war
eine bemerkenswerte Frau.“
    Ja, das war sie.
    „Wollen Sie den Umschlag nicht öffnen?“
    Ich überlegte. Nein, ich wollte Mader und
Hanschke dabei haben.
    „Später.“
    „Verstehe, gut. Dann, also, da gibt es noch
etwas. Das betrifft Sie persönlich.“
    Ich war überrascht und er ließ sich Zeit.
    „Ja?“
    „Frau Gormann hat Sie zu Ihrem Universalerben
erklärt. Kein unbeträchtliches Vermögen.“
    Warum ich, warum hast Du nicht alles einer
Stiftung vermacht?
    „Können wir darüber später reden.“ Ich stand
auf.
    Schenkendorff hob entschuldigend die Hände: „Natürlich,
ja. Rufen Sie an, wann immer es Ihnen passt. Ach ja, und das darf ich Ihnen
auch noch übergeben, rein persönlich.“
    Ein Briefumschlag, darauf nur „Jonathan
Gallert“.
    Der Anwalt legte die weichen Finger seiner Hand
um meinen Arm und begleitete mich zur Tür: „Es tut mir wirklich leid.“
    Hinter dem Empfangstresen erhob sich das
Kerlchen mit einer stummen Verbeugung.
    Ich stolperte die breite Treppe hinunter und
setzte mich direkt vorm Eingang auf die Stufen.

97
    Jonathan, mein Liebster,
    jetzt, da ich diese Zeile schreibe, will ich
noch nicht glauben, dass Du sie je lesen musst. Jetzt, da Du sie liest, bin ich
schon weit weg. Vielleicht schaue ich Dir ja auch über die Schulter. Setz Dich
ans Fenster, an den Rauchtisch. Da sitze ich grad, unter mir der Ku´damm, lebenshungrig
brodelnd, während einige Hundert Kilometer weiter alte Männer um ihr Leben
husten. Der Professor kratzt mit seinem altmodischen Federhalter auf dem Papier.
    Er hat mich gewarnt, wollte, dass ich Tabula
rasa mache, zur Polizei gehe. Aber ich wollte es auf meine Art regeln.
    Du hättest mich nicht schützen können, dafür
ist die Welt zu klein. Solche Dinge klärt man anders – so oder so.
    Wir haben zu lange aufeinander gewartet.
Vielleicht hätte ich bei Dir bleiben sollen, bei Deinen müden Augen, Deinem
erschöpften Lächeln, wenn Du mich in den Arm nimmst. Es wäre so einfach
gewesen.
    Ich weiß, jetzt rumort es in Deinem Schädel:
Aber ich dachte, Du wolltest Deine Freiheit. War das nicht unsere Verabredung?
Zumindest glaubte ich es und, ganz ehrlich, es war auch einfacher für mich. Und
doch wünschte ich mir den Prinzen, der meine Koffer einschließt, den Schlüssel wegwirft
und sagt: jetzt oder nie. Wir hätten uns wehtun sollen. Liebe ist immer auch
Schmerz.
    Natürlich hätte ich Dich auch zwingen
können. Aber ich wollte Dich und nicht den, den ich dann aus Dir gemacht hätte.
Und so blieb uns nur der lange Weg. Du mit Deiner Angst vor meiner Angst.
    All die Nächte sind vergangen. Ein Teil von
mir hat sich in den Ritzen Deiner Wohnung verschanzt, ein Hauch nur, hier und
da ein Haar. Und jetzt musst Du die Fenster aufreißen und mich in die Welt entlassen.
Es war nicht umsonst, nein. Du warst mein Leben. Jetzt lass mich ziehen.
    Lily
     
    Der Brechreiz überkam mich ohne Vorwarnung wie
das Bild von Cindys Kopf zwischen meinen Oberschenkeln. Gelb, grün, bittere
Galle.

98
    Nachdem Hanschke den Anrufbeantworter abgehört
hatte, machte er sich sofort auf den Weg.
    Mader sichtete schon seit dem frühen Morgen die
Daten auf dem Stick. Die fehlenden Videosequenzen, das Dossier über Starnhagen,
seine Vorlieben. Junge Mädchen, flache Brüste. „Schlägt gern … müssen was
aushalten! ... Oralsex und Fesseln …“
    Kontodaten und Geschäftsverbindungen.
Starnhagen war stiller Teilhaber einer Firma auf den Kanalinseln, die offiziell
der Intermining gehörte. Tarnowskis Imperium, säuberlich aufgeschlüsselt. Aber
kein Wort über seine kongolesischen Geschäftspartner. Fotos von Eva Starnhagen
mit einem unbekannten Mann.
    Wo blieb Gallert, sie hatte mehrfach versucht,
ihn zu erreichen, aber sein Telefon war ausgeschaltet. Stattdessen stieß
Hanschke die Tür auf.
    „Die Ratten verlassen das sinkende Schiff?“
    Mader druckte den Report aus und der Staatsanwalt
verschlang Seite für Seite: „Politisch ist er tot. Dafür reicht es allemal.
Mehr nicht.“
    Er vergrub seinen Schädel zwischen den Händen,
als wolle er nichts mehr sehen und hören und seiner wiederkehrenden
Enttäuschung

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