Columbus
denkt er. Sagt es nicht. Fragt stattdessen: »Kannst du das Lateinische, Cazadora?«
Sie nickt herablassend und er sagt rasch und bestimmt: »Totum mare navigabile.« Jedes Meer ist schiffbar.
Sie sieht ihn mit groÃen Augen an. »Du musst es ja wissen«, bemerkt sie dann gedehnt. »Aber was in aller Welt hat ein Rabbi in Asien gesucht?«
Seine Antwort kommt mit groÃer Selbstverständlichkeit. »Die zehn verlorenen Stämme Israels.«
Beatriz packt ihren Weinbecher und trinkt in langen Zügen. »Langsam fange ich an zu verstehen!«, sagt sie schlieÃlich. »Ich sehe, worauf es vielleicht hinausläuft. Aber erklär es mir trotzdem näher.«
Er hat seinen Wein noch nicht angerührt. Nun beginnt er. Seine Stimme ist irgendwie verändert, sie klingt wie entrückt, und seine meergrauen Augen haben sich verschleiert, als habe er eine Vision. »Der Erzvater Jakob hatte zwölf Söhne, wie du ja weiÃt. Ruben, Simeon, Levi, Juda, Isachar, Sebulon, Dan, Naphtali, Gad, Ascher, Joseph und Benjamin. Ihre Nachkommen bildeten die zwölf Stämme Israels in ihrem Heimatland. Aber in den zahllosen Vertreibungen und Verfolgungen, die das Volk erleiden musste, auf all den Wanderschaften und Verfolgungen blieben nur zwei Stämme übrig. Aus ihnen erwächst alles, was jetzt jüdisch ist in der bekannten Welt. Die anderen zehn Stämme blieben verschollen. Aber Gott der Herr kann nicht wollen, dass sein auserwähltes Volk getilgt wird von der Erde. Und immer wieder haben Reisende berichtet, dass es dort, wohin ich segeln will, in Asien und Afrika Juden gibt, die frei vom Druck der Obrigkeit leben und ihre Religion ausüben so wie andere auch. Die verschollenen Stämme. Jüdische Königreiche liegen jenseits des Meeres, Cazadora! Welch eine Aussicht für die Leidenden in den Ländern hier! Welch ein Grund zur Hoffnung!«
Die Cazadora sagt erst einmal gar nichts. »Und deshalb versuchst du, Isabel einzureden, dass sie da drüben Gold scheffeln kann und Heidenkinder bekehren nach Herzenslust? Damit sie deine alte Verwandtschaft in den jüdischen Königreichen aus der Taufe heben kann?«
»Es wird Gold sein dort und es werden unerlöste Seelen zu bekehren sein!«, erwidert er, und es klingt unwillig. »Beides ist richtig.«
Sie taucht ihren Finger in den vorhin verschütteten Wein und zieht Kringel und Kreise über den hölzernen Tisch.
»Wenn du nicht so vor mir säÃest, wie du da sitzt, mit deinen zupackenden Händen und den breiten Schultern, mit deinem starken Hals und dem Kopf eines Seefahrers darauf, mit den Augen, die die Welt und die Weltmeere gesehen haben - ich würde denken, der Mann Cristobal Colón ist ein haltloser Spinner.«
Er will auffahren, aber sie greift über den Tisch hinweg nach ihm, beugt sich weit vor und küsst ihn. Die Becher kippen um und der rote Wein aus Alicante ergieÃt sich über den Tisch. Sie achten nicht darauf. -
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Das Bündel von Gründen und Motivationen, das unser Mann mit sich führt, ist also, wie wir sehen können, von buntscheckiger Herkunft. Mythen und Legenden, Reiseberichte, in denen sich Dichtung und Wahrheit vermischen, mittelalterliche Weltvorstellungen speisen sein Denken genauso wie die neuesten Erkenntnisse der damaligen Wissenschaft: dass die Erde eine Kugel sei und keine Scheibe, dass sie vermessbar und letztlich bis in jeden Winkel »begehbar« sein könne... Genauso seine Arbeit mit den neusten Seekarten und den damals gerade verbesserten Schiffsinstrumenten, wie dem Sextanten, mit dem er meisterhaft umgehen konnte - kurzum, seine Hinwendung zu den exakten Wissenschaften Nautik, Geografie und Mathematik.
Wie geht es weiter mit ihm, und wie wird er bestehen vor dem Ausschuss, in dem jene Männer sitzen, die die »gültige Lehrmeinung« vertreten?
Von Inseln hier und dort
Nach dem Sommerfeldzug, der übrigens ein Fiasko ist, packt der gesamte Hofstaat einmal wieder die Sachen und zieht von Cordoba ins Winterquartier nach Salamanca. Columbus natürlich mit dabei. Er hat sich in diesem Sommer angefreundet mit Fray Diego de Deza, einem Franziskanermönch und Beichtvater des Königs, und nimmt Wohnung in St. Stephan, dem Franziskanerkolleg. Sicher gibt es dafür mehr als einen Grund. Es ist anzunehmen, dass Columbus in Fray Diego nicht nur einen Beschützer gesehen hat, sondern auch einen Mann, mit dem er
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