Columbus
die königlichen Beamten vom Zahlmeister bis zum Profos, vorsichtig zurückhielten. Sie werden bestimmt den Tag verflucht haben, als sie die Planken der »Santa Maria« betraten - und den Mund gehalten haben.
Mit welchen Vorräten an Bord sie allerdings nach Kastilien zurücksegeln wollten, darüber schweigt man sich aus. Offenbar ist die Panik so groÃ, dass man lieber auf offener See verhungern und verdursten will, als diesen Wahnsinn noch länger mitzumachen.
Es ist der 10. Oktober 1492, der verhängnisvollste Tag der ganzen Reise. Columbus kämpft um sein Leben.
Mannschaften und Offiziere haben sich an Deck des Flaggschiffs versammelt, ohne um Erlaubnis gefragt zu haben. Eine brodelnde Menschenmenge, gleichsam dampfend vor Hass, Wut und Verzweiflung, steht dicht an dicht und wartet auf das Erscheinen des Generalkapitäns, dieses Betrügers und Narren, der sie alle ins Unglück geführt hat. Es ist offene Meuterei.
Als Columbus schlieÃlich seine Toldilla verlässt und sich auf der Popa, dem Achterdeck, den Aufrührern stellt, wird er von einem Pfeifkonzert und von wilden Schmährufen empfangen.
Er regt sich nicht, steht ganz still, das weiÃe Haar unbedeckt, den einst prachtvollen roten Samtmantel, dem die Tage an Bord, die Salzwasserspritzer, das grelle Sonnenlicht zugesetzt haben, lose um die Schulter gelegt. Seine Augen gleiten hin über die Gesichter da unten: ausgemergelt, von der Sonne verbrannt, Wut und finstere Entschlossenheit in den Mienen der Kapitäne und Offiziere, nackte Angst bei der Mannschaft.
Er hat vor Königen und Fürsten, vor Gelehrten und Priestern seine Ãberredungskunst spielen lassen, hat alles gegeben. Hier und jetzt, das weià er, wird die Entscheidung fallen. Er ist zu allem bereit - nur nicht, umzukehren.
Columbus hebt die Hand und langsam ebbt der Lärm der erregten Menge ab.
»Meine Brüder in Christo!«, beginnt er, und noch einmal schwillt das Pfeifen und Brüllen an. Für einen Moment schlieÃt er die Augen. Nun ist er ganz ruhig. Wenn Gott ihn bis hierher geführt hat, so wird ER nicht zulassen, dass er so kurz vor dem Ziel scheitert. Ohne die Lippen zu bewegen, spricht er lautlos die Worte des Psalms: »Herr, auf dich steht mein Hoffen. Lass mich nicht zuschanden werden.«
»Ihr Herren Seeleute, hört mich an. Ich werde nur kurz zu Euch sprechen. Die Majestäten des Königs und der Königin haben ihr Vertrauen in mich gesetzt - die GroÃen der Christenheit haben mich auf diese Mission geschickt, und wunderbar hat Gott der Herr bisher seine Hand über uns gehalten. Wie könnte ich jetzt aufgeben, angesichts all der Zeichen, dass das ersehnte Land in der Nähe ist? Ich schwöre bei Gott, dass jeden Einzelnen von Euch ungeahnte Reichtümer erwarten - und bedenkt den Ruhm und das Ansehen, wenn Ihr erst nach Spanien heimkehren werdet! Jeder, auch der Geringste unter Euch, wird in den Adelsstand erhoben werden, das verspreche ich bei meiner Ehre! Mut, tapfere Seeleute! So wahr ich hier stehe, so wahr werden wir binnen drei Tagen Land sichten, die Bombarde wird donnern, und unsere FüÃe werden wieder festen Boden berühren - und gemeinsam mit Euch werde ich das Kreuz unseres Glaubens aufpflanzen auf der fremden Erde. Drei Tage noch, Männer! Und Eure Augen werden geblendet sein von der Schönheit paradiesischer Landstriche - und von dem Gold, mit dem dort die Dächer der Häuser gedeckt sind! Drei Tage noch haltet durch und Ihr werdet die Früchte Eurer Mühen genieÃen können. Dafür stehe ich mit meinem Leben ein. Macht dann mit mir, was Ihr wollt.«
Jetzt ist es still. Nur das Knarren der Schiffsplanken, das Ãchzen des Tauwerks, das Plätschern des Wassers sind zu hören.
Columbus dreht sich um und geht zurück in die Schiffshütte. Drinnen sinkt er auf seinen Stuhl und presst die gefalteten Hände gegen die Stirn. Herr, lass mich nicht zuschanden werden â¦
Noch einmal hat die ungeheure Ausstrahlungskraft unseres Seefahrers den Sieg davongetragen. Als die Offiziere wenig später an die Tür der Toldilla pochen, weià er, dass er gewonnen hat - sonst hätten sie sich schwerlich die Mühe gemacht, anzuklopfen.
Pinzón macht sich einmal mehr zum Sprecher der Besatzung. Mit finsterer Miene erklärt er: »Wie es scheint, hat Gott Euch bei der Hand genommen, Señor Colón, und Euch die rechten Worte eingegeben. Das
Weitere Kostenlose Bücher