Coma - Niven, J: Coma - The Amateurs
David Lynch jemals gedreht hat. Filme, die euer komplettes Wertesystem erschüttern und zum Einsturz bringen werden. Und da wollt ihr euch allen Ernstes Love Again ansehen? Ich würde nicht einmal einen verurteilten Mörder
zwingen, sich das zur Strafe anzuschauen. Eher würde ich mit einem verurteilten Mörder ein Bier trinken, als mir diesen Dreck anzutun.« Damit beendete er seinen Monolog und knallte die DVD-Hülle auf den Verkaufstresen.
Achselzuckend sagte der Kunde zu seiner Freundin: »Komm, lass uns zu Silver Screen gehen.« Das Paar verschwand.
»Siehst du, was ich meine?«, fuhr Stevie fort. »Die beiden haben gerade eine fatale politische Entscheidung getroffen. Sie sind fest davon überzeugt, dass sie sich bloß ein nettes Filmchen ausleihen, um es sich an einem Freitagabend mit einer Flasche chilenischer Cabernet-Plörre und einer Tüte Süßigkeiten aufs Sofa gekuschelt anzusehen. Aber genau in dem Augenblick, in dem sie die Straße raufmarschieren, um ihr Geld diesen ultrarechten Panikmachern, diesen christlich-fundamentalistischen Bastarden mit ihren Familienwerten in den Arsch zu schieben, unterstützen sie unwissentlich Zensur, Unterdrückung und Beschneidung der künstlerischen Freiheit. Sie unterstützen damit nicht weniger als die Rückkehr zur Inquisition.«
»Ich glaube, ich überschwinge.«
»Möglich«, sagte Stevie, hob die Tresenklappe und trat hindurch. »Und du neigst dazu, von innen nach außen zu schwingen. Komm schon, lass uns ein Bier trinken gehen. Bernie, du hältst hier die Stellung. Und entferne diesen Mist hier« – er hielt das Cover von Love Again in die Höhe – »aus dem Regal.«
Mit einem Arm voller hochkarätiger Slasher-Filme kam Bernie aus der Horror-Abteilung. »Wird gemacht, Boss.«
»Und hör gefälligst damit auf, mich Boss zu nennen, du kleiner Arschkriecher.«
Stevies Vater hatte Target Video Anfang der Achtziger eröffnet, auf der Höhe des Trash-Video-Booms, in den Tagen der großen Video-2000-Boxen und des Krieges zwischen Betamax und VHS. Jenen Tagen, in denen in den meisten Videotheken auf
jede Kopie von Am goldenen See übervolle Regale mit Blut und Gedärmen kamen. Er machte ein kleines Vermögen und besaß irgendwann drei Videotheken, die über das nördliche Ayrshire verteilt waren. Mit den Jahren wurden fast alle Konkurrenten von Ketten wie Silver Screen geschluckt . Stevie hatte den Laden von seinem Vater geerbt – mitsamt Bestlage in der Hauptstraße -, aber wie es ihm gelang, im Geschäft zu bleiben, war Gary ein Rätsel. Sein Ziel, ja, sein einziger Grund morgens aufzustehen, schien darin zu bestehen, jeden Kunden zu beleidigen und zu beschimpfen, der es wagte, sich dem Verkaufstresen mit einem Film zu nähern, der nicht in Stevies persönlicher Top-100 rangierte.
»Dreiunddreißig. Dreiunddreißig verfickte Jahre, du alter Sack, du!«, rief Stevie und hob sein schäumendes Lager. Es war gerade fünf Uhr, und sie hatten den Schankraum des Annick ganz für sich alleine. 1990 hatten sie sich zum ersten Mal hierher gewagt – die gesamte Clique hinter dem breiten Rücken von Panzer McIntyre versteckt – und ihre ersten illegalen Pints gekippt. Ihre Kinderhändchen waren damals noch sichtlich überfordert damit, die großen Gläser zu halten. Gary war betrunken, noch bevor er die Hälfte seines Bieres geleert hatte. Jemand hatte »Hallelujah« von den Mondays in der Jukebox gedrückt, und für einen Augenblick wurde die Bar des Annick an der Ecke der Hauptstraße von Ardgirvan zum Mittelpunkt der Welt. Über die letzten zwei Jahrzehnte hinweg hatten Gary, Stevie und die Kumpels in diesen Wänden aus Bruchstein und dunklem Holz Weihnachtsfeste, Geburtstage und – in letzter Zeit – auch die Geburt ihrer Kinder gefeiert. Die kunstledernen Polster hatten sie bei Trauerfällen und Fußballkatastrophen gestützt und gehalten. Die Zapfanlage hatte sie stets zuverlässig mit Lager versorgt, das ihnen – je nach Anlass – mal wie Champagner, mal wie der Inhalt des Schierlingsbechers vorkam.
»Hör schon auf, so alt ist das nun auch wieder nicht …«
»Genauso alt wie Jesus Christus am Kreuz«, entgegnete Stevie, riss eine Packung Cheese-&-Onion-Chips auf und leerte den Inhalt vor ihnen auf den Tisch. »Jim Morrison, Byron, James Dean, Jimi Hendrix, Kurt Cobain, Ian Curtis, Bill Hicks, Edie Sedgwick, John Belushi, Nick Drake, Otis Redding, Sid Vicious, Kenny Dalglish, William Wallace – sie alle waren so alt wie du jetzt, als sie
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