Coma - Niven, J: Coma - The Amateurs
Lee die Geldscheine auf den Tresen.
»Sie sind in Nummer 501 in der fünften Etage. Gleich links, wenn Sie aus dem Aufzug kommen. Haben Sie Koffer?«
»Äh, nee. Ich reise mit leichtem Gepäck.«
Unter den belebenden Nadelstichen der Dusche begann Lee nachzudenken.
Er saß verdammt tief in der Scheiße.
Klitschnass, ein Handtuch um die Hüfte, setzte er sich auf die Bettkante, zündete sich eine Zigarette an, nahm den Telefonhörer in die Hand und wählte Lisas Handynummer. Beim zweiten Klingeln ging sie dran.
»Ich bin’s, Schatz.«
Er ließ sie einen Augenblick lang brüllen, schreien und schimpfen. Als sie Luft holen musste, sagte er: »Warte doch mal, hör mir zu«, aber die Tirade ging bereits weiter.
»Du dämliches Arschloch, wo zur Hölle warst du letzte Nacht, hä? Ich schlag mich mit drei Gören rum, während du Gott weiß was machst und es nicht einmal für nötig hältst, mich anzurufen …«
»LISA! HALT VERDAMMT NOCHMAL DIE KLAPPE UND HÖR MIR ENDLICH ZU!« In der Leitung wurde es still. »Versteh doch«, fuhr Lee fort, »ich bin in Schwierigkeiten, okay? Ich kann es dir jetzt nicht erklären. Hör mir einfach nur zu. Im ersten Stock, in der Schublade mit meinen Socken, links hinten in der Ecke, findest du tausend Pfund. Nimm das Geld, schnapp dir die Kleinen und fahr zu deiner Cousine May nach Galashiel runter, klar?«
» Was? Warum? Wo steckst du? Was ist los?«
»Lisa, bitte, Schatz, du musst tun, was ich dir sage.«
»O Gott, o mein Gott, Lee«, jetzt weinte sie, »was hast du getan? Was hast du denn bloß getan?«
»Schhhh, Liebling. Alles in Ordnung. Mir geht’s gut. Ich liebe dich, Süße. Und es geht nicht um das, was ich getan habe. Sondern um das, was ich nicht getan habe.«
Als er diese Worte aussprach, spürte Lee zum ersten Mal, seit er heute Nacht aus dem Haus der Mastersons in den Wald gerannt war, etwas anderes als Angst und Scham. Er spürte Erleichterung. Und fast so etwas wie Stolz.
Sie hatte ihn mit hervortretenden Augen angesehen, während sie sich gegen ihre Fesseln wehrte und zu reden versuchte. Er hatte »Tut mir leid« gesagt, doch gerade, als sein Finger sich auf den Abzug legte, kam ihm plötzlich dieses Bild in den Sinn, und diese Worte klangen ihm in den Ohren. Er war in Tränen ausgebrochen und an der Wand zusammengesunken. Lange Zeit hatte er dort weinend gekauert und so heftig geschluchzt, wie er es nicht mehr getan hatte, seit er ein kleiner Junge gewesen war. Er hatte darüber geweint, was aus ihm geworden war. Darüber, was er beinahe getan hätte. Aber er hatte auch geweint, weil er jetzt wusste, dass er es niemals tun könnte. Und deshalb in höllischen Schwierigkeiten steckte. Dabei hätten sie das Geld so dringend gebraucht.
Mit zittriger Hand hatte Lee ihr vorsichtig das silberne Klebeband vom Mund gezogen. Da war irgendetwas in ihren Augen, das ihm sagte, dass sie nicht schreien würde. Mit klarer, gefasster Stimme sagte sie: »Es ist mein Mann, nicht wahr?«
Sie hatten eine Weile miteinander geredet. Lee hatte auf dem Küchenboden gesessen, während Leanne immer noch an den Stuhl gefesselt war.
»Schhhh, Süße, schhhh«, sagte er, als Lisa am anderen Ende der Leitung nicht aufhörte zu schluchzen. »Alles wird gut. Bitte
mach jetzt die Kinder fertig und verlasst das Haus. Ich werde alles in Ordnung bringen und dann komme ich euch holen.«
»Aber Lee«, schluchzte Lisa, die langsam wieder zu Atem kam, »wo bist du denn jetzt?«
»Mir geht’s gut. Ich bin in Glasgow. In einem Hotel. Macht euch jetzt auf den Weg, Schatz. Ich rufe dich bei May an, in Ordnung?«
Als Lee auflegte, fühlte er sich etwas besser. Er zündete sich eine Zigarette an, ging zum Fenster und zog die Gardine zurück. Hinter den Schieferdächern konnte er gerade noch den Clyde und die Eisenbahnbrücke erspähen, über die man von Süden, von Ardgirvan her, nach Glasgow reinfuhr.
Lee erinnerte sich an einen Familienausflug, den sie vor vielen Jahren, als er und Gary noch klein gewesen waren, mit der Eisenbahn hierher unternommen hatten. An diesem Tag waren sie quer durch die ganze Stadt gelaufen, die ganze Sauchiehall Street entlang, bis zu den schattigen Alleen entlang des River Kelvin. Ihr Dad hatte sie abwechselnd auf den Schultern getragen, und wenn er sie überraschend durchschüttelte, in die Luft warf oder in die Waden zwickte, hatten sie vor Vergnügen gequietscht. Sie hatten eine Ausstellung in der Kelvin Hall besucht und danach im Park das Picknick verzehrt,
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