Commissaire-Llob 1 - Morituri
ein Stück
Ziegendreck im offenen Gelände.
Nach einer vielsagenden Stille trompetet er los:
„Wann wirst du endlich klüger, Llob? Um Him-
mels willen! Wann lernst du endlich, daß man den
Nachbarn nicht beißt, kaum daß man von der Leine
ist? Wir sind hier nicht im Wilden Westen …“
Ich bleibe stumm. Gemäß Artikel 13 und 69 der
Verordnung zur Inneren Sicherheit, die da besagen:
Wenn ein Chef dir den Kopf wäscht, unwürdiger
Untergebener, hältst du den Mund, damit du keinen
Schaum schluckst und dir eine Kolik holst.
„Man kann dich wirklich nicht allein lassen.
Nicht einmal eine Stunde hat man seine Ruhe mit
dir. Kaum drehe ich dir den Rücken zu, tust du
alles, um die Stadt auf den Kopf zu stellen.“
„Die Geschichte mit der Leine, Herr Direktor, die
habe ich nicht ganz verstanden.“
„Wie konntest du es wagen, die Hand gegen den
ehrenwerten Haj Garne zu erheben?“
„Ich habe nur versucht, mich zu schneuzen, Herr
Direktor. Wenn ich verschnupft bin, bin ich ent-
setzlich ungeschickt.“
Anscheinend bin ich doch ein wenig zu weit ge-
gangen, denn der Direx bäumt sich auf und haut
mit der Faust auf den Tisch. Da es aber doch noch
eine Gerechtigkeit gibt auf der Welt, verfehlt er die
Schreibtischunterlage, und sein Porzellanfäustchen
kracht auf den Aschenbecher.
Ich verharre stocksteif, das Kinn im rechten
Winkel, während er sich seine wunden Finger
leckt.
Mit nachlassendem Schmerz findet der Direktor
langsam, aber sicher seine Gesichtsfarbe wieder. Er
dröhnt:
„Er wird dich verklagen. Und ich werde nichts
unternehmen, ihn davon abzubringen. Ich werde
auch nicht die Hand über dich halten. Ich möchte
einmal sehen, wie dir der Himmel auf den Kopf
fällt, Llob. Seit Ewigkeiten schon suchst du deinen
Meister, jetzt hast du ihn endlich gefunden …“
Seine näselnde Stimme ermüdet mich. Einer, der
durch die Nase spricht, kann einen Hitzkopf nur
schwer einschüchtern.
Ich ertrage geduldig mein Schicksal. Aber wie
sehr ich auch versuche, mich auf ein Spatzenpaar
auf der Stromleitung im Hof zu konzentrieren,
meine Gedanken schaffen es nicht, mit ihnen da-
vonzufliegen.
Der Direktor gelangt ans Ende seiner Strafpre-
digt. Tupft sich mit einem Seidentüchlein trocken.
Nach einem kurzen Schnaufer schlägt vor:
„Du ruftst ihn jetzt an und entschuldigst dich.“
„Mitnichten.“
„Ich hab mich wohl verhört.“
„Mitnichten …“
„Ist das eine Meuterei?“
„Wenn Sie das so sehen.“
„Du rufst ihn sofort an, oder ich reiße dir die Oh-
ren aus.“
Und wenn schon! Verächtlich mustere ich den
Koloß auf seinen tönernen Füßen, hole tief Luft
und lege los:
„Ich spucke auf dich und deine Vorfahren, du
Schleimscheißer! Ich habe dich gekannt, als du
noch in einer Bruchbude gehaust hast, am Platz des
Ersten Mai, und jedem Müllwagen nachgejagt bist.
Ich erinnere mich noch an deine zerrissene Kutte
und deine lumpige Jacke. Jetzt bist du ganz oben,
und das steigt dir zu Kopf. Paß nur auf, daß dir
nicht schwindlig wird.“
„Ich erlaube dir nicht, mich zu duzen. Ich bin der
Direktor …“
„Ich habe nie ein Votum für dich abgegeben.
Ginge es nach mir, dein Verschwinden wäre keine
Verlustmeldung wert. Du bist ein Nichts, ein Rau-
schen im Wind, eine Null mit Zuckerguß, ein
Häufchen Hundedreck, ein falscher Fünfziger, fett
und undankbar … Was deinen Schützling betrifft,
sag ihm, einen Polizisten respektiert man, selbst
wenn er halb verhungert ist.“
Ich lasse ihn sitzen in seinem Schlamm, den ich
gehörig aufgewühlt habe, und verlasse türschla-
gend den Raum.
Auf dem Gang gratuliert mir die Belegschaft
durch Handzeichen und Augenzwinkern. Alle ha-
ben mitgehört und konnten es kaum glauben.
Nachdem das Unwetter vorüber ist, taucht auch
Lino wieder auf. Er schwebt wie auf Wolken. Er
versenkt den Wurmfortsatz, den er als Nase aus-
gibt, in ein Taschentuch und posaunt so laut drauf-
los, daß selbst Baya im Nebenzimmer hochfährt.
„Man sagt, daß du dem Direx das Maul gestopft
hast! Stimmt es, daß du ihn ein Häufchen Hunde-
dreck genannt hast?“
„Ja und?“
„Verdammt!“ Er ist vor Entzücken außer sich.
„Wo nimmst du nur deine verfluchten Schimpf-
wörter her, Kommy?“
„Aus dem Scheißhaus.“
7
Ich bin zu Da Achour gefahren. Wenn ich nicht gut
drauf bin, gehe ich immer zu ihm. Seine innere
Ruhe glättet meine Wogen. Da Achour ist ein Se-
her, vielleicht sogar ein
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