Commissaire-Llob 1 - Morituri
wenn ich nur versu-
che, sie um ein Glas Wasser zu bitten.
Verdammter Krieg.
Ich schiebe den Teller weg, verschwinde ins
Schlafzimmer. Mina kommt mir nach. Ihre Augen
sind erschütternd vorwurfsvoll. Sie stellt sich hin-
ter mich und massiert mir den Nacken. Wenn sie
sich sonst auf diese Weise meiner annimmt, ist
Mina die reinste Therapie für mich. Doch an die-
sem Abend ist jede ihrer Berührungen schmerzhaft
wie ein Stich.
Ich drehe mich zum Fenster. Die Nacht gießt Gift
und Galle über die Stadt. Und schon löst in der
Ferne die erste Salve den Wahnsinn aus.
6
Seit zwei geschlagenen Stunden scheuere ich mir
die Ellenbogen auf der schmierigen Theke eines
Cafés Ecke Rue des Révolutions wund.
Ich throne auf einem Barhocker und halte mit den
Händen eine Tasse Tee warm, die längst abgekühlt
ist. Meine Uhr zeigt halb neun, und von Mourad
Atti noch immer keine Spur.
Lino hockt mit eingezogenem Kopf und abge-
nutztem Overall in einem Winkel und versucht,
wie ein Maurer auszusehen, der seinen Feierabend
genießt. Er sitzt wie auf Kohlen. Das Viertel hat
nicht gerade den Ruf, zimperlich mit Polizisten
umzugehen.
Der Wirt ist ein verkrüppeltes Männchen. Einen
Gast zu bedienen, braucht er länger als ein algeri-
scher Zöllner für die Abfertigung eines Reisenden.
Man könnte ihn für sanftmütig halten, wenn er
nicht dieses widerliche Stachelschwein im Gesicht
hätte: einen subversiven Bart, in dessen Nähe es
gefährlich werden kann.
Um mich herum unterhält sich eine Gruppe nase-
bohrender Greise. Etwas weiter weg wetzen ein
paar Jugendliche ihre Blicke an der tristen Umge-
bung. Mit heruntergezogenen Augenbrauen und
aggressiv vorgeschobenen Lippen ertragen sie ihre
Verbannung wie eine Risikoschwangerschaft.
Neun Uhr!
Ich gehe Mina anrufen, um sie zu beruhigen. Als
ich zurückkomme, sitzt ein anderer bequem auf
meinem Platz und hat seine Flossen bereits um
meine Tasse gelegt.
„He!“ sagt er spöttisch, „wer einmal fort zur Jagd
gegangen, von dem hab ich den Platz gefangen.“
„Ja, schon! Doch kommt er dann zurück zum Ort,
jagt er den Hund gleich wieder fort.“
Anerkennend macht der Mann ein Daumenzei-
chen, daß der Punkt an mich geht und entfernt sei-
nen dicken Hintern von meinem Barhocker.
Dem Wirt gefällt das gar nicht. Mürrisch poliert
er vor meiner Nase die Theke und konfisziert dabei
gleich mein Getränk.
Lino zeigt auf seine Uhr, um mich daran zu erin-
nern, daß die nächtliche Ausgangssperre noch im-
mer in Kraft ist. Ich deute ihm, die Sache zu ver-
gessen.
Da taucht Mourad Atti doch noch auf, mit einer
Tasche unter dem Arm. Er grüßt einen Zigaretten-
verkäufer, der sich die Stufen des Cafés ausgesucht
hat, um seine armselige Ware auszubreiten, dann
mustert er die Umgebung, sein Blick bleibt an mir
hängen, dann an Lino, er findet unsere Mienen
wohl verdächtig. Es bleibt ihm keine Zeit, sich zu
verdrücken. Serdj schnappt ihn sich sofort.
„Ganz ruhig“, flüstert er ihm zu.
Mourad versucht zu entwischen. Ich halte ihm
meine Pistole unter die Nase. Im Handumdrehen
befördern wir ihn auf den Rücksitz unseres Dienst-
Peugeot und machen uns mit quietschenden Reifen
aus dem Staub.
Der Art nach zu schließen, wie die einfachen
Leute unseren Auftritt beobachtet haben, halte ich
es für ratsam, nie wieder einen Fuß in dieses Vier-
tel zu setzen.
Haj Garne braucht kein Wahrheitsserum, um sich
zu verraten. Er ist die Falschheit in Person. Sein
Grinsen, seine Lachanfälle, sein schleimiges Schul-
terklopfen sind nur Köder.
Er gehört zu diesen Primitivlingen, die es „ge-
schafft“ haben, ohne jedoch ihre schmuddlige Her-
kunft verleugnen zu können. Er ist auf vielen Ge-
bieten ein Analphabet, bemüht sich aber dennoch
um ein Auftreten, das dem Niveau seines Reich-
tums entspricht. Aber leider ist da diese verflixte
Vergangenheit, die aus jeder seiner Gesten durch-
scheint, so linkisch und ungehobelt wie beim Zir-
kusaffen, dessen Pagenkostüm seine Grimassen
auch nicht überdecken kann.
„Hätte ich nur geahnt, daß du kommen würdest!“
ruft er mir zu und drückt mich lüstern an sich.
„Ich komme, um ein wenig in deinem Schlamm
zu wühlen.“
„Hab ich mir fast gedacht.“
Soviel ich weiß, hat Garne bei einem französi-
schen Siedler als Schmied gearbeitet. Herauszufin-
den, wie er sein Imperium aufgebaut hat, wäre ein
endloses Geduldsspiel. Er ist nie irgendein
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