Commissaire-Llob 1 - Morituri
Risiko
eingegangen. Während des Krieges, von 1954 bis
1962, hielt er sich gewissenhaft an seinem
Schweißbrenner fest. Nach der Unabhängigkeit hat
er es irgendwie geschafft, eine Bescheinigung als
Freiheitskämpfer zu bekommen, und ist damit so-
fort in die Partei eingetreten. Die Genossen nah-
men ihn mit offenen Armen auf, und in ihrer
Schlangengrube lernte er das Intrigenspiel.
Jedesmal, wenn ich den tieferen Sinn solcher Iro-
nie zu begreifen versuche, gelange ich zu dem
Schluß, daß sich die algerische Gesellschaft infolge
eines bedauerlichen Durcheinanders in den Blät-
tern ihrer Geschichte jeder klaren Beurteilung ent-
zieht.
„Ich sag’s dir gleich, daß du nicht willkommen
bist!“ warnt er mich. Das habe wiederum ich mir
fast gedacht.
Er bleibt vor mir stehen und versperrt mir den
Eingang.
„Was ist dein Problem, Bulle? Hast du Kopfweh,
weil deine Kuh dir Hörner aufsetzt?“
„Da gibt’s andere Rindviecher, die mir Kopfweh
bereiten.“
„Du hast doch das Recht, polygam zu sein. Was
genierst du dich da?“
„Ich werde langsam alt.“
„Schon von Hospizen gehört? Ich nehme aber an,
du bist nicht gekommen, mir was vorzuweinen.
Auf die Tour hast du keine Chance. Ich kann Bul-
len nicht ausstehen.“
„Nein, ich bin nicht gekommen, um dir was vor-
zuweinen, Haj.“
„Wenn du gekommen bist, um mit dem Feuer zu
spielen, dann paß auf, daß du dir nicht das Fell
versengst.“ Er wirft mir einen drohenden Blick zu.
„Also?“
„Mourad Atti sagt, daß er für dich arbeitet.“
„Wer ist dieser Idiot?“
„Ein Zuhälter.“
„Davon habe ich einen ganzen Haufen. Na und?“
„Eines seiner Mädchen ist verschwunden, eine
gewisse Sabrine Malek.“
Haj Garne zieht einen Mundwinkel hoch: „Hör
zu, Herzchen. Quertreiber von deiner Sorte stören
mich nicht im geringsten. Deine Unterstellungen
interessieren mich nicht. Zu deiner Information, ich
betrüge bei jedem Atemzug gleich zweimal. Ich
habe in jedem Saustall ein Auge und meine Nase in
allen Futternäpfen. Ich bin das lebende Denkmal
der Verkommenheit, und du kannst mich mal. Weil
deine Dienstmarke nur dazu da ist, dir eine Num-
mer zu verpassen, du Idiot. Weil du einfach kein
Format hast. Weil’s so ist und nicht anders.“
Hab ich’s nicht gesagt, daß er ein Rüpel ist! Ein
Holzklotz hat mehr Benimm als er.
Zugegeben, das Land hat noch mehr Kerle wie
ihn hervorgebracht, die davon überzeugt sind, daß
Gesetze nur für die anderen gemacht sind. Kerle,
die sich ihrer Straffreiheit so sicher sind, daß sie
den Anblick eines Gesetzeshüters als abartig emp-
finden, als eine Art sinnlose Halluzination.
Ich drehe mich zu Lino um, der im Peugeot
geblieben ist, und wische mir mit dem Taschentuch
nervös den Schweiß von der Stirn.
„Donnerwetter, du hast’s mir aber gegeben, alle
Achtung!“ gestehe ich kleinlaut. „Da brennt einem
ja die Sicherung durch! So hat mir noch keiner das
Maul gestopft! Ich zerfließe wie alter Camembert
… Das dürfte wohl schon alles sein, was aus unse-
rem Treffen herauskommt?“
„Sei froh, daß du hier mit heiler Haut heraus-
kommst.“
Er erklimmt die drei Stufen seines Vorbaus, legt
eine Pause ein und fügt hinzu: „Nächstes Mal,
Kommissar, ruf vorher an. Mistbauern treffe ich
lieber in der Spelunke, damit sie sich nicht so
fremd fühlen. Bei mir zu Hause empfange ich mei-
ne Freunde.“
„Ich werde daran denken, versprochen.“
Er knallt die Tür hinter sich zu.
Ich gehe zum Auto zurück. Lino ahnt, daß ich
eins aufs Maul bekommen habe, und einmal, ein
einziges Mal, tut er, als ob nichts wäre. Ohne zu
fragen gibt er Gas, den Blick nach vorn gerichtet,
wie ein Großer.
Nach gut hundert Metern befehl ich ihm, den
Rückwärtsgang einzulegen. Auch da stellt er keine
Fragen, tut es einfach. Wie ein Großer.
Ich läute erneut bei Haj Garne und lasse ihm kei-
ne Zeit zu sehen, wer da ist. Kaum daß er sein Ge-
sicht zeigt, befördere ich meine Rechte dorthin, wo
ihn sonst seine Liebhaber verwöhnen. Mit offenem
Mund, die Arme gekreuzt, sackt er im Vorzimmer
zusammen. Wie ein heruntergerissener Wandbe-
hang.
Zufrieden rücke ich meinen Mantel zurecht, mas-
siere meine Faust und gehe zu Lino zurück, der
mich schon auf dem Altar des Frevels gekreuzigt
sieht.
* * *
Als der Chef mich eintreten sieht, legt er die Füße
auf den Tisch. In der üblichen Körpersprache, die
bedeutet, daß ich nicht mehr wert bin als
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