Commissaire-Llob 1 - Morituri
Nasenflügel beben. Er bleibt aber cool.
„Merkst du denn nicht, daß der Herr Direktor dir
entgegenkommt?“ schaltet sich Bliss ein und be-
trachtet seine Fingernägel.
„Du Zwerg, halte du dich da raus, wenn du nicht
willst, daß ich dich in den Abfluß stopfe, bis die
Ratten alles Mark aus deinen Knochen gesaugt
haben.“
Bliss weicht zurück und verstummt. Seine Augen
verengen sich. Das bedeutet, daß er gerade nach-
denkt. Und wenn Bliss nachdenkt, hält selbst der
Teufel den Atem an.
Der Direktor wird ungeduldig, ermahnt uns, wir
sollen uns benehmen. Nach einem tiefen Seufzer
verkündet er: „Mourad Atti wurde heute morgen in
die Beobachtungsstation des Sicherheitsbüros zu-
rücküberstellt.“
„Ich bin mit ihm noch nicht fertig.“
„Das macht nichts. Die Jungs von der BdS haben
mir versprochen, uns zu verständigen, wenn sie
was finden, was mit unserem Fall zu tun hat.“
Ich erhebe mich. „Kann ich gehen?“
„Natürlich …“
Ich streiche meine Weste glatt, mache ein paar
Schritte auf die Tür zu. Seine Stimme hält mich
zurück: „Kommissar …“
Ich bleibe stehen, ohne mich jedoch umzudrehen.
Der Direx steigt von seinem Thron herab und
kommt auf mich zu. Seine sorgsam manikürte Pur-
purhand legt sich auf meine Schulter und zieht sich
dann wie unter Elektroschock zurück. Er geht mir
zur Tür voraus und flötet, während er die Klinke
liebkost: „Hast du heute etwas Besonderes vor?“
„Kommt darauf an.“
„Wenn es dir nicht allzuviel ausmacht, schau
doch auf einen Sprung bei unserem Freund Ghoul
vorbei.“
„So ein Pech aber auch: heute morgen habe ich
meine Stange zerbrochen.“
„Was heißen soll?“
„Daß Schluß damit ist. Ihr Kumpel sollte besser
einen Privatdetektiv engagieren. Diese Sexge-
schichten stinken dermaßen, daß ich dabei kaum
klar denken kann. Suchen Sie sich jemand anderen
für diese Drecksarbeit.“
„Das find’ ich überhaupt nicht witzig!“ lamen-
tiert der Chef.
„Hab ich ja von Anfang an gesagt.“
* * *
Lino bringt mich nach Hause. Er bearbeitet das
Lenkrad, vermeidet es, mich anzusehen. Gut und
gerne zwanzig Minuten fahren wir, und noch im-
mer absolutes Schweigen. Er weiß, daß ich einen
Haufen Leute gegen mich aufgebracht habe, und
das setzt ihm ganz schön zu.
„Diese Kerle sind Bulldozer“, warnt er mich.
„Mir egal.“
„Was willst du jetzt tun?“
„Mich auf meine Pension vorbereiten. Für Er-
niedrigungen bin ich zu alt.“
Lino wedelt energisch mit dem Finger. „Das ist
nicht der richtige Moment, Kommy. Wir haben
Krieg. Man wird dich wie einen Deserteur behan-
deln.“
„Mir egal.“
„Und deine Karriere, Kommy? Du wirst doch
jetzt nicht aufgeben, wo du so kurz davor stehst,
Abteilungsleiter zu werden.“
Ich bremse ab. „Die echte Karriere eines Mannes,
Lino, ist seine Familie. Im Leben hat es der zu et-
was gebracht, der es bei sich zu Hause zu etwas
gebracht hat. Der einzig wahre und gesunde Ehr-
geiz besteht darin, stolz auf seine Familie zu sein.
Der Rest, der ganze Rest, Beförderung, Aufstieg,
Ruhm, ist nichts als Schaumschlägerei, Flucht nach
vorn, Ablenkung vom Wesentlichen …“
Das verschlägt Lino die Sprache.
* * *
Ein Unglück kommt selten allein. Dazu fehlt ihm
der Mumm. Es braucht stets einen zweiten Schick-
salsschlag, der ihm hilft, einem den Boden unter
den Füßen wegzuziehen.
Als ich nach Hause komme, stolpere ich im Vor-
zimmer über zwei Koffer. Mein ältester Sohn steht
im Gang, traurig, aber entschlossen. Am schluch-
zenden Gesicht seiner Mutter sehe ich, daß er sich
endgültig entschlossen hat auszuziehen. Seit einer
Ewigkeit geistert der Gedanke, von hier abzuhau-
en, in seinem Kopf herum. Algier ist ihm zur
Zwangsjacke geworden. Das Viertel seiner Kind-
heit hält ihn nicht mehr. Bei meinem Anblick
schlägt er die Augen nieder.
Er schluckt: „Tut mir leid, Papa.“
„Nicht deine Schuld, mein Sohn.“
Er ist der Sohn eines Polizisten. Nach den Regeln
der Fundamentalisten verdient er dasselbe Schick-
sal wie sein Vater. Nicht wenigen Kindern hat man
die Kehle durchgeschnitten, nur weil ihre Eltern
Soldaten oder Polizisten waren. Ich bin fast er-
leichtert, daß er sich zu einer Luftveränderung ent-
schieden hat.
„Sei mir nicht allzu böse, Papa.“
„Ich habe dir doch gesagt, es ist nicht deine
Schuld. Wohin soll es denn gehen?“
„Tamanrasset. Ich habe Freunde da. Ich finde si-
cher
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