Commissaire-Llob 1 - Morituri
dann zu Da Achour hinausgefahren, um
Merguez zu grillen. Lino hat sich abgesondert. Von
frühmorgens bis zum Einfall der Nacht ist er am
Strand geblieben und hat Kieselsteine in die Wel-
len geschleudert.
Danach ging es besser. Das Meer hat ihn ein we-
nig beruhigt.
* * *
Slimane Abbou hat wieder etwas Farbe im Gesicht.
Sein Brustkorb ist bandagiert, seine Hand hängt an
einer Art Wasserspülung, und er schneidet eine
Grimasse nach der anderen, während er sich gegen
sein Kissen lehnt.
Der Arzt hat uns geraten, nicht zu übertreiben,
um keine Verschlimmerung seines Zustands zu
riskieren. Ich schwöre ihm, die Nerven zu bewah-
ren, und warte, bis er aus dem Zimmer ist, um ei-
nen Stuhl an das wacklige Bett zu rücken, auf dem
unser Dealer seiner Genesung harrt.
„Nun, was macht die Lunge?“
„Sie haben sie zurechtgeflickt, aber manchmal
werde ich noch künstlich beatmet.“
Lino interessiert sich mehr für die Weißkittel im
Hof. Er brummelt, ohne sich umzusehen: „Du hät-
test ihm was zum Naschen mitbringen sollen,
Kommy.“
Slimane fährt auf. „Hat er was gegen mich, dein
Wachtmeister?“
„Kümmere dich nicht um den. Erzähl uns lieber
deine Geschichte von Anfang an.“
„Dafür reicht meine Spucke nicht aus. Und au-
ßerdem, mit meinen Beatmungsschläuchen …“
„Wir haben uns kurz in deiner Behausung umge-
sehen.“
„He, langsam! Das war nicht meine Hütte, das
war die von Moh Lakja.“
„Das Hinkebein, das du umgepustet hast?“
„Das war ein Unfall. Ich wollte ihm aufhelfen, da
hat sich der Schuß gelöst.“
„Hast recht. War ein Unfall. Wir waren ja dabei,
du kannst auf unsere Aussage zählen.“
Er kichert. So zynisch, daß es einem das Zahn-
fleisch aufreißt.
„Ich wußte ja, daß du ein prima Typ bist. Sonst
hätte ich dich nicht verfehlt.“
„Was hattest du bei Moh Lakja zu suchen?“
„Ich habe ihm seine Ration gebracht.“
„Der ist so sauber wie sein Schnee“, meint Lino
ironisch, die Nase noch immer an die Scheibe
gepreßt.
Slimane wird wütend. Er stützt sich mit dem El-
lenbogen ab und jault: „Jawohl! Ich bin sauber,
und du kannst mich mal! Ich hab nicht wie du das
Glück gehabt, Polizeioffizier zu werden oder Be-
amter.“
„Vorsicht“, besänftige ich ihn, „sonst springt dir
noch der Stöpsel aus dem Schlauch.“
Es ist, als hätten meine Worte ihn aufgestachelt.
Er richtet sich ein wenig höher auf und wettert in
Richtung Lino los:
„Dreh dich um, du Arschloch! Schau mir in die
Augen, wenn du ein Mann bist! Du verachtest
mich, weil ich keine Bildung habe, ja? Was meinst
du, wie stellt man es an, was zwischen die Zähne
zu bekommen, wenn man keinen Schulabschluß
und keine Arbeit hat? Weißt du, was es heißt, seine
Mutter zur Essenszeit weinen zu sehen, weil sie
nichts hat, was sie den Kleinen auf den Teller legen
kann? Weißt du, was es heißt, sich die ganze Nacht
in der Rumpelkammer verstecken zu müssen, weil
der Vater schon wieder besoffen nach Hause
kommt? Weißt du, was es heißt, nichts als schlech-
te Noten heimzubringen, weil zu Hause so ein
Chaos herrscht, daß es schäbig wäre, sich hinter
seinen Büchern zu verstecken …?“
„Wir sind hier nicht bei Gericht“, bremse ich ihn.
Slimane verstummt, völlig außer Atem. Plötzlich
bricht er in Lachen aus. Es ist das Lachen eines
Tobsüchtigen, bei dem einem das Blut in den A-
dern gerinnt.
„Jedenfalls“, kichert er, „hat’s beim Richter im-
mer funktioniert.“
Langsam kommt mir die Galle hoch. Ich zwinge
mich, einen kühlen Kopf zu bewahren. Slimane ist
störrisch wie ein Maultier! Es bringt nichts, ihn
daran zu erinnern.
„Du steckst bis zum Hals in der Scheiße“, infor-
miere ich ihn. „Deine Waffe wurde identifiziert.
Sie gehörte einem Magistratsbeamten, der in Ta-
malous ermordet wurde. Wir wissen auch, daß du
von einer Reihe von Boutiquebesitzern Schutzgeld
erpreßt und zwei Schwestern entführt hast. Du ver-
kaufst Stoff zugunsten der bewaffneten Gruppen.
Wir haben Beweise. Wir wissen, daß Didi dein
Kumpel und Abou Kalybse dein Guru ist.“
Er hört zu, die Augenbrauen affektiert zusam-
mengezogen, und blinzelt, wie wenn man jeman-
dem spaßeshalber schöne Augen macht, nur um
mir zu zeigen, daß ihn meine Fakten kaltlassen und
er sich über meine Bestandsaufnahme königlich
amüsiert.
„Wieviel wird mir das denn einbringen, Bulle?“
„An dir sind wir gar nicht
Weitere Kostenlose Bücher