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Commissaire-Llob 1 - Morituri

Commissaire-Llob 1 - Morituri

Titel: Commissaire-Llob 1 - Morituri
Autoren: Yasmina Khadra
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Angst. Ich
    bin ein Bulle, kommt alle her und knallt mich ab!“
    Ich versuche, ihn zu beruhigen.
    Er stößt mich zurück.
    „Pfoten weg, du! Rühr mich nicht an, ja! Merks-
    su eigentlich auch mal, dassu überflüssig biss?
    Heute abend erdrückssu mich. Laß mich in Frie-
    den, in Ordnung? Und hör auf, mich so anzu-
    schaun, als muß ich mir was vorwerfen. Du muß
    dir was vorwerfen. Du glaubs, du bis auf der rich-
    tigen Seite. Es gib kein richtige Seite. Man is ein-
    fach nur am richtigen oder am falschen Platz. Ich
    bin kein Held. Ich bin nicht mal besonders tapfer.
    Ich glaube auch nicht an die Friedhofskultur. Ich
    will einfach nur meine Haut retten.“
    „Erzähl mir das später.“
    Er weicht schwankend zurück.
    „Du bist wachsbleich“, sagt er und schneuzt sich
    in den Ärmel. „Du has kein Tropfen Blut. Geht dir
    das Viertel so auf den Geist? Und ich dachte im-
    mer, du hättes Mumm in den Knochen. Bin total
    enttäuscht von dir.“
    Ein feiner Sprühregen geht über die Stadt nieder,
    aber ich bekomme nur die Spritzer aus dem Mund
    meines Leutnants ab.
    Ein junger Bärtiger im Qamis* kommt aus einer
    Parfümerie. [* (arab.) Hemd. Das bis zu den Füßen verlängerte Oberhemd, wie es vor allem die Männer in den arabischen Emiraten tragen, gehört in Algerien neben dem Vollbart zu den typischen Attributen der Islamisten.] Lino wartet, bis er auf seiner Höhe ist, um ihn niederzu-boxen.
    „Verfluchter dreckiger Terrorist! Aasmade!
    Scheißmullah!“
    Ich umklammere den Leutnant. Er macht sich
    los, fällt über den verblüfften Bruder her. Es folgen
    ein Austausch von Schimpfwörtern, Fußtritte ins
    Leere, Ausspucken. Der Bruder schiebt seine Che-
    chia und die Ärmel seines Qamis zurück. Ich greife
    ihn mir mit einer Hand und dränge ihn gegen die
    Mauer.
    „Hau bloß ab!“
    „Ist der verrückt oder was?“
    „Hau ab, ehe ich dir das Schamhaar da im Ge-
    sicht zusammenzwirble!“
    Ich stoße den Leutnant in meinen Wagen und ge-
    be Gas.
    Während der Fahrt kauert sich Lino auf der
    Rückbank zusammen, das Kinn zwischen den
    Knien, die Hände über dem Kopf, und weint wie
    zehn kleine Kinder.

    15

    Nie hätte ich Lino soviel Kummer zugetraut.
    Drei Tage und drei Nächte lang sagt er kein ein-
    ziges freundliches Wort. Er meidet die Kantine,
    boykottiert die Einsatzbesprechung und verbringt
    mehr Zeit damit, hinter der Schreibmaschine über
    seinem Schmerz zu brüten, als sich für den Rest
    der Welt zu interessieren. Mehrfach habe ich ihn
    dabei überrascht, wie er auf der Toilette Selbstge-
    spräche führte, Nase an Nase mit dem Spiegel.
    Ich habe ihm vorgeschlagen, Urlaub zu nehmen.
    Wütend hat er mich angefaucht: „Ich brauche keine
    Erholung. Dafür ist die Ewigkeit da.“
    Er fing an, mit dem Personal Streit zu suchen,
    und fand unweigerlich immer einen Vorwand, um
    zu schimpfen. Er war nicht wiederzuerkennen.
    „Ich weiß, wie du dich fühlst“, sage ich zu ihm.
    „Ich fühle mich genauso. Serdj gehörte zu unserer
    Familie. Das Schicksal wollte, daß er als erster
    ging.“
    „Das nennst du Schicksal?“
    „Nenn es, wie du willst. Es ist nun einmal Tatsa-
    che: Serdj ist tot. Er hat es nicht verdient, so zu
    enden. Er war ein guter Kerl. Manchmal finde ich
    das so ungerecht, daß ich fast schon den Glauben
    verliere. Auch ich komme auf dumme Gedanken.
    Ich habe Lust, meine Pistole zu ziehen und den
    ersten Bärtigen, der mir über den Weg läuft, nie-
    derzuschießen. Ich tue es nur deshalb nicht, weil
    man das eben nicht tut. Ich bin kein Mörder. Ich
    weigere mich, ihr Spiel mitzuspielen. Wir müssen
    wir selbst bleiben, einfache Leute, aber Leute mit
    Herz.“
    Eine volle Minute lang findet Lino keine Worte.
    Er verkrampft die Hände ineinander. Er drückt mir
    einen Finger gegen die Brust, als wolle er ihn mir
    ins Herz bohren.
    „Nicht mit mir“, sagt er. „Ich weiß, was gut ist
    und was nicht. Deine Sprüche kannst du für dich
    behalten. Das ganze Drama kommt nur daher, daß
    manche die falschen Werte haben. Von jetzt an
    handle ich nur noch nach meinem Kopf.“
    Er geht und schlägt die Tür hinter sich zu.
    Ich kann nicht viel für ihn tun. Jedesmal, wenn
    ich mich ihm nähere, droht er, mir die Fresse ein-
    zuschlagen.
    Eines Morgens beschließt er mitten in einer Sit-
    zung, zum Grab von Serdj zu fahren. Er sollte nie
    dort ankommen. Auf dem Weg überfährt er ein
    Stoppschild und verprügelt einen Polizisten.
    Nach vier Tagen habe ich ihn herausgeholt.
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